Auf einen Drink mit der Jungen Alternative

Ich habe letzte Woche zwei Abende damit verbracht mit AfD-Mitgliedern zu reden. Ich hatte Angst vor der Begegnung, weil ich der vermeintliche Feind bin: eine Sozialdemokratin mit Migrationshintergrund, die in der „linkliberalen Berliner Blase“ lebt. Was ich allerdings in diesen zwei Abenden gelernt habe, hat mit sehr viel mehr als der AfD zu tun.

Warum ich mich auf solch ein ungewöhnliches Treffen eingelassen habe? Zum einen gehöre ich zu den Menschen, die mehr Dialog predigen – ob zwischen Einwanderern und Einheimischen oder zwischen den Generationen. Ich wollte mehr tun als selbst Wasser zu predigen und Wein zu saufen und mich der Konfrontation stellen. Mit der Aktion „Deutschland spricht“ sind am 23. September übrigens auch andere Bürger zum kotroversen Gespräch aufgerufen. Zum anderen ist es nicht mehr von der Hand zu weisen, dass die AfD sich selbst zu einer etablierten Partei entwickelt – der INSA-Umfrage vom 16. Juli zufolge sympathisieren bis zu 17,5 Prozent der Wahlberechtigten mit der Partei. Das ist nahezu jeder Sechste. Kann ich jeden sechsten Mitbürger in meiner Blase ignorieren? Wahrscheinlich schon, aber dafür bin ich viel zu neugierig und möchte verstehen, wer weshalb im Verein der Weidels, Gaulands und von Storchs mitmacht.

Ursprünglich hatte alles über eine Twitter-Bekanntschaft begonnen. Max und ich stritten uns seit nunmehr zwei Jahren online – in scheinbar jedem politischen Bereich waren wir – wie zu erwarten – konträrer Meinung. Er – wirtschaftslibertär, ich – sozialdemokratisch. Er – Regionalpatriot, ich – überzeugte Europäerin. Er – für geschlossene Grenzen, ich – für einen geregelten Einwanderungs- und Integrationsprozess. Nichtsdestotrotz weiteten sich unsere Diskussionen auf die privaten Nachrichten auf, sodass wir die Chance nutzen uns zu treffen, als er mit Parteifreunden Berlin besuchte.

Was habe ich also gelernt?

  1. Das Klischee, dass die Junge Alternative (JA), die Jugendorganisation der AfD, aus „Globalisierungsverlierern“ besteht, greift zu kurz. Ich lernte junge, eloquente Männer aus Baden-Württemberg kennen, die sich im Grunde keine Sorgen um ihre Zukunft machen müssten. Vielmehr war mein Eindruck, dass der Wunsch nach stärkerer nationaler Souveränität sowie der Sicherung des Wohlstandes und der Sozialsysteme vordergründig ist.
  2. Die JA ist breiter aufgestellt, als mir klar war. Als ich mich in einer Gruppe von vier AfD-Mitgliedern wiederfand, musste ich ab einem Zeitpunkt nur noch Stichwortgeberin sein, damit die Anhänger der unterschiedlichen Flügel untereinander zu diskutieren begannen. Von wirtschaftsliberalen, über linksorientierten bis zu nationalistisch-konservativen Positionen habe ich in der Kürze alles gehört. Oft musste ich schlucken. Vieles von dieser Debatte verläuft unter dem Radar der Öffentlichkeit.
  3. Die SPD ist die Partei, die von jeder Seite Angriffsfläche bietet. Natürlich musste ich mir einige angriffslustige Sprüche bezüglich meiner Parteizugehörigkeit anhören, was allerdings vollkommen in Ordnung ist und zu erwarten war. Was allerdings interessant an der Außenwahrnehmung meiner Gesprächspartner war, dass die SPD sowohl als „zu links“ wahrgenommen wird, als würde sie einen sozialistischen Staat errichten wollen, als auch als „zu wirtschaftsfreundlich“ – sie hat schließlich Hartz IV auf den Weg gebracht. Diese widersprüchliche Wahrnehmung ist ein Teil des SPD-Problems.
  4. Elite ist zum willkürlichen Feindbild verkommen. Die AfD kritisiert gerne die „politische Klasse“ oder die „Linksgrünen“, weil sie eine elitäre Minderheit wären, die den Diskurs vorgibt. Dass dies wenig über die Einkommensverhältnisse und somit über die gesellschaftliche Stellung in Deutschland aussagt, ist dabei irrelevant. Dass die AfD in den vergangenen Jahren maßgeblich die Kommunikation und gesellschaftliche Themensetzung bestimmt hat, macht sie zudem zu einer neuen Diskurselite – die Debatte führt sich also selbst ad absurdum und ist mittlerweile vereinfacht und faul.
  5. Angst und Panik bringen nichts. Ich bin noch immer von menschenverachtenden und NS-relativierenden Aussagen von AfD-Funktionären abgestoßen und betrachte sie als destruktives Gegenmodell zum modernen Deutschland. Die Methode ängstlich die AfD zu ignorieren oder mit Panik auf gezielte Provokationen zu reagieren, bringt in Anbetracht der gewachsenen Popularität nichts. Seit der Gründung der AfD ist die Hauptlinie mit jedem Wechsel der Vorstandsebene radikaler geworden – vom euroskeptischen Lucke, über die islamkritische Petry bis zum nationalistischen Gauland. Man muss begreifen, weshalb dies so ist, anstatt die Augen zu verschließen.
  6. Wir reden zu wenig über Integration. Während Migration das emotional am stärksten aufgeladene Thema zu sein scheint, versickert die Debatte um Integration zwischen den Polen einer bedingungslos liberalenWillkommenskultur und strikter Fremdenfeindlichkeit. Dazwischen dreht sich die Welt jedoch weiter. Ich bin davon überzeugt, dass wir unsere neuen Mitbürger, die sich auf die deutsche Staatsbürgerschaft erfolgreich bewerben, abschrecken, wenn der Tenor im Land ist, dass der Migrationshintergrund nicht willkommen und sogar problematisch ist.

Welche Fragen bleiben offen?

  1. Welche Verantwortung tragen Parteimitglieder und Anhänger für radikale Positionen? Es sind mitnichten alle AfD-Mitglieder und Sympathisanten rechtsradikal, reaktionär und menschenverachtend. Es gibt jedoch auch genug Rechtsradikale und Reaktionäre, die sehr laut den Diskurs prägen – unabhängig von ihrem Anteil an der gesamten Partei. Dafür braucht man nur geleakte Chatprotokolle aus Parteikreisen zu suchen. Sie mögen zwar aus der Mitte der Gesellschaft kommen, träumen jedoch davon, dass „Deutschland den Deutschen“ gehört. Natürlich ist innerparteiliche Demokratie das gängige Argument dafür, dass die „Moderaten“ auch einen moderaten Kurs erkämpfen möchten, aber bis dahin tragen sie „Vogelschiss“-Aussagen Gaulands, die „Kameltreiber“-Reden Poggenburgs und die „Denkmal-der-Schande“-Theorien Höckes mit.
  2. Wie steht es um den Konflikt zwischen Bürgern? Ich frage mich seit längerer Zeit, ob der digitale Krieg in den sozialen Medien zwischen den politischen Lagern übertrieben ist oder ob die Skepsis tatsächlich tief sitzt. Meiner Erfahrung nach können sich in der Realität auch die größten politischen Gegner privat verständigen. Dennoch sehe ich das Risiko, dass die Gesellschaft auseinanderdriften entlang von Gehalts- und Bildungsniveau. Die Begegnungsstätten werden immer weniger, die Emotionen schaukeln sich hoch, Abstiegsängste sitzen tief, Diskussionen werden scheinbar immer schärfer, verkürzter und aggressiver geführt. Das ist keine gute Grundlage für politische Stabilität, Streitkultur und gesellschaftlichen Zusammenhalt, denn jeder versucht seine eigene Haut zu retten.
  3. Quo vadis, AfD? Es ist mir noch schleierhaft, in welche Richtung sich die AfD entwickeln wird. Wird sie zu einer bundesweiten CSU-Kopie mit stark konservativen Gesellschaftspositionen mit dem Ziel der marktwirtschaftlichen Liberalisierung oder nähert sich noch weiter der NPD an?
  4. Wer legt einen überzeugenden Zukunftsentwurf vor? Ich bin mittlerweile davon überzeugt, dass die AfD Teile ihrer Wählerschaft damit mobilisiert, ein in Teilen vertrautes Bild von Deutschland zu zeichnen, das gar nicht mehr existiert. Der Blick in der Vergangenheit ist wohliger, als die Angst vor einer ungewissen, gar stürmischen Zukunft. Die bisherigen liberalen Entwürfe scheinen immer weniger Menschen zu überzeugen – eine neue optimistische Weiterentwicklung plant gegenwärtig aber auch niemand.

Die Bauchschmerzen bleiben

Die AfD wird im Bundestag weiterhin isoliert behandelt. Alles andere ist bei den gezielten Provokationen, rhetorischen Grenzüberschreitungen und Protestanträgen undenkbar. Die Bundesparteien sind jedoch nur ein Teil von unserer Gesellschaft. Der Alltag findet nicht im Bundestag statt, sondern in ganz Deutschland, in Durchschnittsjobs, in Schulen, in Kneipen und Vereinen.

Ich bin der Auffassung, dass eine konstruktive Konfliktkultur zu einer starken Demokratie gehört und Bürger sich nicht gegenseitig verteufeln oder erniedrigen sollten. Ich kam nun häufiger in die Rechtfertigungssituation wegen meines Treffens mit AfD-Anhängern – vor allem, weil der Umgang sehr menschlich war. Ich kann die Kritik daran auch nachvollziehen – man würde vermeintlich mithelfen radikale Positionen weiter salonfähig zu machen. Ich habe auch keine Antwort darauf, was man tun soll. Um das gesellschaftliche Auseinanderdriften jedoch zu verhindern, bedarf es wohlmöglich neuer Antworten und die genaue Analyse dessen, wie sich Deutschland in den vergangenen Jahren verändert hat. Ich wehre mich dagegen, die Migrationsfrage als vermeintlich einzigen Grund aufzuführen, der Deutschland bewegt. Die Ängste sitzen tiefer – es sind Ängste vor dem Abstieg, dem internationalen Wettbewerb und dem Verlust des Vertrauten.

6 Kommentare zu „Auf einen Drink mit der Jungen Alternative

  1. Eine interessante und aufschlussreiche Erfahrung, und wenn Ihnen zwischendurch mal mulmig war, kann ich das gut verstehen. Es gehört schon etwas Mut dazu, sich auf eine Diskussion mit JA-Mitgliedern einzulassen.

  2. Ja mutig finde ich es auch, gleichzeitg aber auch notwendig, sicherlich kann man nicht mit jeder und jedem AfDler r e d e n, aber den Dialog zu suchen und auszuhalten finde ich auch wichtig! Abgrenzung ist notwendig, die eigene Positon zu vermittlen, aber bitte ohne Hass.

  3. Sehr interessant. Leider hilft miteinander reden nicht wenn der Gegenüber nicht reden sondern herrschen will. Ich sehe ein ähnliches Muster wie bei der NSDAP Machtübernahme in München. Zuerst lässt man die tumben Proleten auf den Gassen Radau machen. Sobald die ersten gutbetahlten Posten zu vergeben sind kommt die tumbe Elite (aber eloquent) aus ihren Verbindungskellern und übernimmt mit Lug und Trug die Nacht. Einen ähnlichen Prozess erleben wir in USA. Es ist wieder chic unchristliche, unsoziale Meinungen zu haben. Bei Vorträgen zur IT Zukunft bei verschiedenen Jugendorganisationen der Parteien war ich erschüttert welche Dumpfköpfe sich dort versammeln.

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