Brauchen Arbeitnehmer mehr Risiko, um zufriedener und produktiver zu sein?

Stagnierende Produktivität, vermeintlich niedrige Motivation junger Arbeitnehmer und durchwachsene Arbeitszufriedenheit – es gibt viel Verbesserungspotenzial in der Arbeitswelt in Deutschland. Die Managerin Wiebke Köhler untersuchte gemeinsam mit Professor Dr. Ingo Hamm wie es um die Zufriedenheit der Arbeitnehmer steht – bei den Arbeitnehmern lag die Begeisterung bei mäßigen 62%. Die fehlende Zufriedenheit koste die deutsche Wirtschaft der Analyse zufolge 275 Milliarden Euro im Jahr. Als Haupttreiber für mehr Motivation sehen Köhler und Hamm die Zufriedenheit mit der eigenen Arbeit – doch was ist, wenn es dafür eine Prise Risiko braucht?

Mangelnde Zufriedenheit: ein kulturelles oder organisatorisches Problem? 

Köhler und Hamm beschreiben bei ihren Forschungsergebnissen, dass es Arbeitnehmern wichtig sei, einer erfüllenden Tätigkeit nachzugehen – doch was macht Arbeit erfüllend? Was in den vergangenen Jahren deutlich geworden ist, dass viele Menschen genau das Gegenteil von Erfüllung im Beruf erleben – der Anthropologe David Graeber beschrieb in seinem Buch „Bullshit Jobs“ eine Reihe von Berufen, die sich für die Arbeitnehmer vollkommen sinnlos anfühlen. Es geht dabei oft um administrative und bürokratische Aufgaben – auch innerhalb großer Konzerne, die verschachtelte große Strukturen entwickelt haben. Andere Fälle beschrieben tagelanges Kopieren von Daten von einer Excel-Tabelle in die nächste. Manche Menschen hingegeben berichteten davon, dass sie „Analysen“ und „Berichte“ für Kunden oder im Rahmen von Förderprojekten schreiben – diese werden offenkundig nicht gelesen. Graebers Schätzung zufolge sind bis zu 40 Prozent der Menschen in solch einem Bullshit-Job tätig. Eine YouGov-Studie aus dem Jahr 2015 bestätigte diese Schätzung.

Der kontroverse Philosoph Nassim Nicholas Taleb beschreibt in seinem Buch „Das Risiko und sein Preis – Skin in the Game“, dass Tätigkeiten erst bedeutungsvoll und somit erfüllend werden, wenn man selbst auf gewisse Weise Verantwortung für die Konsequenzen übernimmt. Das Risiko kann mit Geld oder dem Verlust der Reputation verbunden sein, denn Verantwortung ist ein verdammt guter Antrieb dafür seine Arbeit gut und gewissenhaft zu machen. Taleb beschreibt wie gegenwärtig das Gegenteil der Fall ist: in der Finanzkrise wurde deutlich wie vermeintliche Finanzexperten, die zur katastrophalen Erschütterung beitrugen, kaum oder keine Konsequenzen befürchten mussten. Ähnlich ist es bei Unternehmensberatern oder Journalisten, die Analysen für andere schreiben, damit Einfluss entfalten – aber nie in Rechenschaft gezogen werden, wenn sie falsch lagen. Taleb plädiert dafür, dass Menschen wieder mehr Verantwortung übernehmen müssen. Dazu gehört auch, dass sie Expertise entwickeln, um einen „Bullshit-Detektor“ zu entwickeln. Man kann schließlich nur wirklich verantwortlich handeln, wenn man mehr oder minder weiß, was man tut.

Das bedeutet jedoch nicht, dass Strafen und Konsequenzen drakonisch und brutal sein müssen – dies würde ebenfalls keinen positiven Effekt haben und Menschen abschrecken. Auch Köhler und Hamm haben Sicherheit und Fürsorge als wichtige Aspekte für eine höhere Begeisterung identifiziert. Doch zu viel Sicherheit darf nicht zur vollständigen Entfremdung von der eigentlichen Arbeit führen. Es gibt genug Fälle, in denen Analysten und Berater in Unternehmen niemals die Kunden kennenlernen, weil lediglich die Führungsebene oder Seniors die Kommunikation übernehmen. Die Arbeitnehmer sind damit nur ihren Arbeitgebern Rechenschaft schuldig – allerdings stellt sich kaum ein Verantwortungsgefühl gegenüber einem Kunden ein, wenn es zu keinem Zeitpunkt einen direkten Kontakt gegeben hat. Übrigens haben Führungskräfte laut der Untersuchung von Köhler und Hamm eine höhere Zufriedenheit – sie liegt bei 71%. Ob das daran liegt, dass sie mehr Verantwortung übernehmen? 

Darüber hinaus haben sich Organisationen in den vergangenen drei bis vier Jahrzehnten zunehmend in eine Richtung entwickelt, die Arbeitnehmer in einen abstrakten Zustand setzt: sie bekommen eine hochgradig spezialisierte Position und sind für einen Mikrobereich innerhalb einer Organisation zuständig – der direkte Bezug zum Produkt und zur Wirkung der Arbeit schränkt sich damit ein. Um den Punkt zu veranschaulichen, reicht ein Blick in aktuelle LinkedIn-Stellenbeschreibungen: Individual Giving Manager, Integrity Officer oder Specialist First Level Support. Das können an sich spannende Jobs sein – aber es ist fraglich, ob Erfüllung mit solch feingliedriger Spezialisierung einhergeht und wodurch sich das Gefühl der Verantwortung einstellen kann. 

Dieser Trend ist nicht neu – er ist seit den 1990-ern zu beobachten. Doch möglicherweise ist es die Organisationsform, die gerade junge Arbeitnehmer demotiviert. Das Klischee, dass diese mit weniger Einsatz bei der Arbeit seien, könnte – sofern es überhaupt stimmen sollte –  auch daran liegen, dass heutige Positionen in Unternehmen sich stark gewandelt haben im Vergleich zu den ersten Erfahrungen der älteren Generationen eine größere Distanz innehaben, auch wortwörtlich: der Trend zu Homeoffice und flexiblen Arbeitsorten ist deutlich erkennbar. 

Ein schmaler Grat zwischen Arbeitnehmerschutz und Verantwortung

Das grundsätzliche Prinzip, dass Menschen gewissenhafter agieren, wenn sie etwas zu verlieren haben, bzw. ein Risiko eingehen, leuchtet ein. Fraglich ist es jedoch, auf welche Weise Mechanismen für mehr Verantwortung in Organisationen eingeführt werden können – ohne dabei eine Kultur der Angst und des Drucks aufzubauen. Der Grat dabei ist schmal. Zudem möchten viele Arbeitnehmer dieses fast unternehmerische Denken in ihrem Beruf nicht erleben – das ist auch vollkommen in Ordnung und sollte auch respektiert werden.

Als Prinzipien lassen sich jedoch zwei Maßnahmen: Zum einen sollten Unternehmen Wege finden, um Arbeitsprozesse „real“ wirken zu lassen – es geht darum, dass Arbeitnehmer sehen, woran sie wirklich arbeiten. Auf diese Weise entwickeln sie auch eine Bindung und Loyalität zur Organisation. Zum anderen sollte der Raum für Lernerfahrungen und die Entwicklung einer Expertise gegeben sein. Expertise wird nämlich zu einer persönlichen Fähigkeit – und niemand will sich blamieren und als Hochstapler enttarnt werden. Das ist genug Risiko, dass es zumindest unangenehm wäre, gewissenlos zu arbeiten.

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