Flüchtlinge im Mittelmeer: es geht nicht um Politik, es geht um Menschenleben

Das Mittelmeer ist inzwischen zu einer Todesfalle geworden – seit dem Jahr 2000 sind knapp 30.000 Menschen ertrunken, allein 2015 waren es ca. 4000. Besonders dramatisch ist die Lage über die zentrale Mittelmeerrute, die nach Italien führt. Rettungen müssen schnell gehen, bei den winterlichen Wassertemperaturen verlieren Menschen vor Unterkühlen nach ein bis zwei Stunden das Bewusstsein, wenn sie sich im Wasser befinden – wie es im Fall eines gesunkenen Schiffs oder gerissenen Gummiboots der Fall ist. Mit dem Einatmen von Wasser beginnt dann der qualvolle Tod.

Kürzlich erfuhr ich von der Organisation „SOS Mediterranee“ – einem Verein, der ertrinkende Menschen aus dem Mittelmeer retten möchte. Die junge NGO lud am Montag dieser Woche ins Berliner BASECAMP ein, um über ihr Engagement zu informieren. Im Rahmen der Veranstaltung konnte ich mich mit dem Gründer und Schiffskapitän Klaus Vogel unterhalten. Vogel hat selbst in Afrika gelebt, er wirkt betroffen von dem Leid, das vor den beliebtesten Urlaubsorten Europas stattfindet. Ihm sind die Kosten bekannt, die an die Schlepper bezahlt werden – jene Menschen, die die Träume anderer aus Profitgier missbrauchen und weder für Sicherheit, noch Überleben garantieren können. Er spricht nachdenklich, aber entschlossen – es geht ihm nicht um Politik, es geht ihm schlicht darum Menschenleben zu retten und das Sterben an den Mittelmeerküsten nicht zu tolerieren.

Klaus Vogel, Gründer von SOS Mediterranee © Patrick Bar
Klaus Vogel, Gründer von SOS Mediterranee © Patrick Bar

A: Könntest du bitte kurz erklären, was das Ziel von SOS Mediterranee ist für jemanden, der das Projekt gar nicht kennt?

Vogel: SOS Mediterranee ist eine zivile, europäische Organisation, die Menschen vor dem Ertrinken im Mittelmeer retten möchte. Wir fahren nächste Woche ab Lampedusa mit einem Schiff los, mit einem großen Schiff, das zwischen Libyen, Lampedusa und Sizilien Menschen retten kann. Wir werden das das ganze Jahr tun, dort sind Menschen täglich vom Ertrinken bedroht und wir möchten dazu beitragen, diese Menschen zu retten.

A: Was glaubst du ist die größte Herausforderung bei diesem Projekt?

Vogel: Die größte Herausforderung ist, dass wir dort bleiben können. Im Moment haben wir das Schiff gechartert bis Ende April und wir hoffen auf viele große weitere Unterstützung, damit wir die Rettungen dort über das ganze Jahr fortführen können.

A: Kommt die Finanzierung nur aus Deutschland?

Vogel: Die Finanzierung ist aus ganz Europa. Wir haben einen Verein in Deutschland, einen in Frankreich und demnächst wird SOS Mediterranee Italien gegründet. Die Zivilgesellschaft von ganz Europa unterstützt uns mehr und mehr, aber es ist auch noch ein weiter Weg zu gehen.

A: Wie war die bisherige Resonanz auf das Projekt?

Vogel: Bis jetzt ist es überwältigend wie viele Menschen uns schon unterstützen. Offenbar gibt es bei vielen Menschen den Wunsch ganz konkret etwas zu tun. Die politische Debatte wird nicht besser, aber wir haben doch die Möglichkeit zu handeln und diese konkrete Tat – da verbinden wir uns mit den Menschen und es ist gut das zu fühlen, wie viel Unterstützung wir bekommen.

A: Wie lange hat die Vorbereitung gedauert bis ihr endlich loslegen konntet?

Vogel: Wir haben SOS Mediterranee im Mai in Berlin gegründet, wir haben im Juni SOS Mediterranee Frankreich gegründet, wir haben die zweite Jahreshälfte hindurch sehr viel Geld gesammelt und waren im Dezember in der Lage, den Chartervertrag abzuschließen. So gesehen ist es schnell gegangen und wir haben ein großes Schiff und können jetzt schon drei Monate mit dem Retten anfangen und darüber sind wir sehr froh.

A: Gibt es bestimmte Kooperationspartner, die euch besonders unter die Arme gegriffen haben?

Vogel: Ja, wir haben eine starke Unterstützung von AWO International, die haben uns sehr geholfen. Wir haben eine Partnerschaft mit Ärzte der Welt, die werden das medizinische Personal auf dem Schiff stellen. Wir haben zudem Unterstützung von weiteren Hilfsorganisationen – ADRA und andere, die uns in den nächsten Monaten sehr stark unterstützen werden.

A: Warst du bereits selbst auf Lampedusa und hast Erfahrungen sammeln können?

Vogel: Ja, bevor wir das Projekt begonnen haben, waren wir auf Lampedusa um mit den Menschen dort zu sprechen, die das Drama im Mittelmeer seit Jahrzehnten selbst erleben und selbst daran beteiligt sind, die viel getan haben über die Jahre hinweg, aber damit auch allein gelassen worden sind. Und ich bin mit dem Versprechen aus Lampedusa abgereist, dass wir mit einem großen Schiff wiederkommen und das Versprechen können wir jetzt einlösen und darüber freue ich mich sehr.

A: Was waren deine Eindrücke von den Menschen, die auf Lampedusa ankommen? Was für Menschen waren das?

Vogel: Die Flüchtlinge die wir auf Lampedusa und vor allem auf Sizilien getroffen haben, das sind überwiegend junge Männer. Sehr viele von ihnen kommen aus den Ländern südlich der Sahara, sie haben als einzelne Menschen oft keine Chance und oft werden sie von ihren Familien geschickt, weil sie die Hoffnungsträger sind. Sie sind die einzigen, die ihrer Familie über ihre Arbeitskraft etwas Geld überweisen können und sie über Wasser halten können. Für Frauen ist der Weg schlicht zu gefährlich.

A: Was ist der Zukunftsplan für SOS Mediterranee – wollt ihr mit einem weiteren Schiff aufrüsten?

Vogel: Erst einmal versuchen wir SOS Mediterranee so zu entwickeln, dass wir dauerhaft mit diesem einen Schiff Menschen retten können. Sobald das möglich ist, würden wir auch ein zweites oder drittes Schiff chartern, weil die Zahl der Menschen so groß ist, dass es mit einem Schiff nicht reichen wird.

A: Gibt es ähnliche Projekte zu SOS Mediterranee?

Vogel: Ja, im vergangenen Jahr ist Ärzte ohne Grenzen mit drei Schiffen unterwegs gewesen, leider haben sie ihr Projekt schon zum Jahresende unterbrochen und wir sind uns nicht sicher, ob sie im kommenden Jahr wiederkommen. Im Vergleich dazu haben wir langsamer angefangen, wir sind eine kleine Organisation, die im Aufbau befindlich ist, aber wir haben den Wunsch – solange das Problem besteht – nachhaltig dort zu bleiben und nichts anderes zu tun als Menschen vor dem Ertrinken zu retten und damit dürfen wir nicht warten. Es gibt auf jeden Fall Handlungsbedarf!

Mehr zu SOS Mediterranee, den Möglichkeiten zu spenden oder aktiv mitzuwirken findet ihr auf sosmediterranee.org.

2 Kommentare zu „Flüchtlinge im Mittelmeer: es geht nicht um Politik, es geht um Menschenleben

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..