EU-Südkorea-Abkommen: allen egal – CETA: alle flippen aus!

Könnt ihr euch noch erinnern, wie 2009 das EU-Südkorea Freihandelsabkommen unterzeichnet wurde, 2011 in Kraft trat und welchen Effekt es auf die Handelsbeziehungen hatte? Nein? Ich mich auch nicht. Auf jeden Fall hat die EU eine Handelspartnerschaft mit einem Land abgeschlossen, das größer ist als Kanada und mit welchem wir in Westeuropa eine geringere kulturelle Verbindung haben – ohne hochtrabende Opposition. So manch ein urbaner Bewohner mag in den vergangenen Jahren ein Kimchi-Fan geworden sein, ohne zu bedenken, dass seit 2011 immer mehr Lebensmittel, Chemikalien, Autos, Stahl und Kleidung aus dem südostasiatischen Land in die EU importiert werden. 2015 erreichte die bilaterale Handelsbilanz einen Höhepunkt – Waren im Wert von über 90 Milliarden Euro wurden gehandelt. Die EU erhöhte den Exportabsatz seit 2011 um 55%. Ferner wurden nahezu drei Milliarden Euro an Kosten für Zölle wurden eingespart. Dieses Abkommen schien dennoch tatsächlich nur die politische und wirtschaftliche Elite zu interessieren, denn Protestaktionen wie bei TTIP und CETA gab es nicht.

Geht es um Kritik am Freihandel oder Antiamerikanismus?

Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, wie man zu Freihandelsabkommen stehen kann. Man kann fundierte Bedenken zur möglichen Aushöhlung von Arbeitnehmerrechten äußern. Man kann auch dagegen sein, dass Unternehmen Staaten aufgrund von vermeintlichen Wettbewerbshürden verklagen. Auch kann man für den Protektionismus sein, wenn man die Wahrscheinlichkeit sieht, dass billige Importe den eigenen Markt überfluten und somit ganze Branchen zerstören. Man kann auch allgemein wachstumskritisch sein. Natürlich kann man auch für Freihandel sein und darin die Möglichkeit sehen, Export zu stimulieren, somit die Jobs in zukunftsträchtigen Industriezweigen zu stärken und durch höhere Konkurrenz mehr Innovation zu erreichen. Ob man dafür oder dagegen ist, ist mittlerweile sowieso eine Glaubensfrage – Volkswirte und selbsternannte Experten sind sich nach wie vor nicht einig, welche mittelbaren und unmittelbaren Konsequenzen weitreichende Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada haben würden.

Was gerade aber speziell bei CETA passiert, ist die unmittelbare Vermengung mit TTIP und Antiamerikanismus. Wieso stören wir uns an Chlorhühnchen, wenn unsere eigenen Salate vor dem Verkauf mit Chlor abgespült werden und Antibiotika seit Jahren in der Tiermast benutzt werden? Wieso feiern so viele den kanadischen Premierminister Justin Trudeau als sozialliberalen Prince Charming und blockieren gleichzeitig CETA, ohne die wesentlichen Wirtschaftszweige und die größten Unternehmen nennen zu können? Warum fand das EU-Südkorea-Abkommen so wenig Beachtung, wenn die größten Unternehmen wie Samsung, LG, Hyundai oder KIA europäischen Produzenten in der Smartphone- und Automobilbranche ebenfalls bedrohlich sein können – oder kennt ihr noch viele Leute mit einem Nokia, Siemens oder Sagem? Wir messen mit zweierlei Maß.

Eine neue Politisierung – eine neue krisenbedingte Skepsis?

Dass das Abkommen mit Südkorea – einem Land, das über 15 Millionen mehr Einwohner hat als Kanada (ca. 35 Millionen) und infolge der wirtschaftlichen Asienkrise größere Einkommensunterschiede aufweist – niemanden gejuckt hat, hat sicherlich auch mit der neuen Politisierung in Europa zu tun. Wir werden wach, wenn wir das Gefühl haben, dass uns etwas bedrohlich werden könnte. Noch vor zwei Jahren schrieb ich auf meinem Blog einen Artikel darüber, wie sehr ich mich darüber gewundert habe, dass der zivile Widerstand gegen TTIP so gering war. Dies hat sich inzwischen drastisch geändert. Je normaler der Krisenzustand in Europa wurde, umso mehr fordern die Menschen Schutz und Sicherheit. Eine liberale Marktpolitik galt 2009 hingegen noch als förderlich. Das war vor bevor die Wirtschaftskrise in Europa ihren Höhepunkt erreicht hatte.

Meinem Empfinden nach wird CETA häufig unhinterfragt mit TTIP in einen Topf geworfen. Dass sich vor allem in linken Kreisen eine antiamerikanische Stimmung in den vergangenen Jahren aufgebaut hat, ist kein Wunder. Seit den Kriegen im Irak und Afghanistan hat sich Kritik an den USA – dem einstigen Vorbild für Aufstieg und dem „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ – akkumuliert. Dabei ging es nicht nur um zweifelhafte Militäreinsätze in ebendiesen Ländern oder auch in Libyen, es ging um die Gier der Wallstreet, Steuerflucht von Großkonzernen sowie Polizeigewalt und Rassismus gegen Schwarze. Dies waren genug Gründe für junge Linke, um sich zu empören. Dass CETA lange als Blaupause für TTIP galt, war ebenfalls nicht hilfreich für eine sachliche Debatte, obwohl dies nicht hieß, dass beide Abkommen dieselben Punkte beinhalten würden. Aber nicht nur eine linke Szene, sondern auch EU-Skeptiker, die solche Abkommen als Teil der EU-Diktatur betrachten würden, tummeln sich unter den vielen Freihandelsgegenern.

Sachlich bleiben, um der Schockstarre zu entkommen

Zugegeben – was bei CETA Und TTIP wirklich bedrohlich wirkt, ist der Investorenschutz einschließlich der Schiedsgerichte – das EU-Südkorea-Abkommen wurden ohne solche Institutionen verabschiedet. Allerdings sind große mobilisierende Bürgerinitiativen von Natur aus auch emotional geleitet und bewegen sich genauso in einer eigenen Filterblase wie der bedingungslosen Verfechter von Freihandelsabkommen. Was mir bei dem ganzen Protest allerdings fehlt, ist eine sachliche Alternative zur europäischen Schockstarre. Im Falle, dass TTIP und CETA nicht unterzeichnet werden sollten, ist das Problem nicht gelöst, dass die EU wirtschaftlich auf dem absteigenden Ast ist – Überalterung, Jugendarbeitslosigkeit, fehlende Investitionen, eine wachsende Unterschicht, die andauernde Wirtschaftskrise und damit einhergehende mangelnden Innovation sind nur einige Gründe dafür. Am Status Quo festzuhalten, wird folglich nicht helfen.

11 Kommentare zu „EU-Südkorea-Abkommen: allen egal – CETA: alle flippen aus!

  1. Gut geschrieben finde ich. Was mich auch sehr stört, ist die Tatsache, dass alles in einen Topf geworfen wird. Undifferenziert.
    CETA mit TTIP vergleichen, ist wie Äpfel mit Birnen gleichsetzen. Wobei ich damit keines der beiden bewerte.
    Das, was die Menschen auf die Barikaden bringt, sind die beiden Tatsachen, dass zum einen im Geheimen verhandelt wird, und zum anderen es Schiedsgerichte geben soll, die sich völlig dem Zugriff der Menschen entziehen. Es wäre ja ein Leichtes, v.a. Letzteres zunächst außen vor zu lassen, und TTIP ohne diese Gerichte in Kraft treten zu lassen. Ich gehe aber sehr davon aus, dass es NICHT die Europäer sind, die diese Gerichte unbedingt haben wollen. Und so scheint die Motivation dahinter eindeutig.
    Und deshalb hoffe ich, dass diejenigen, die bisher sagten „SO mit uns nicht, dann auch dazu stehen.

    1. Hallo und danke für den Kommentar!
      Also Schiedsgerichte sind bei CETA zumindest durch Investitionsgerichte ausgewechselt – das ist ein Fortschritt.
      Solche Verhandlungen wurden immer mehr oder minder im Geheimen geführt – der Prozess lebt von einem ständigen Geben und Nehmen, von Kompromissen und Verbesserungen. Bei aller sinnvollen Kritik, sehe ich leider auch keine besseren Alternativen.

  2. Eine interssante Sicht auf die Situation in der EU, in der eine soziale Verwerfung stattfindet, deren Folgen kaum absehbar sind. Mittlerweile gibt es über 7 Millionen junge Menschen unter 24 Jahren in der EU, die weder einen Schulabschluss, noch eine Ausbildung oder einen Job haben. Man kann davon ausgehen, dass diese Gruppen nicht bis ans Ende ihrer Tage in einer Wohnung hocken und gegen die Wand starren werden, sondern sich radikalisieren. Dies ist nur eine Problematik. Grundsätzlich sind die wirtschaflichen Perspektiven gar nicht so negativ – es gibt alles in ausreichender Menge -, allein es hapert an der Verteilung bzw. an Gedankengängen, die sich mal Richtung Wirtschaftsrückgang und neuer gesellschaftlicher Systematiken bewegen wie zum Beispiel Geminwohlökonomie oder solidarische Unternehmensgründungen. Das System des ewigen Wachstums, kann nicht dauerhaft funktionieren. Umdenken ist nötig, denn allein durch die beginnende Robotik in Verbindung mit intelligenter Software, die sich in einem unglaublichen Tempo als Industrie 4.0 entwickelt, besteht im Gegensatz zur Industrialisierung keine Zeitschwelle, die es dem einzelnen Menschen erlaubt, sich gezielt auf Veränderungen einzustellen. Wir sind schlicht zu langsam und werden überrollt. Doch auch das System kann es nicht leisten. Es ist nicht beweglich genug für das 21. Jahrhundert. Entscheidungsprozesse dauern zu lange, neue Ideen werden zwischen parteipolitischen Kämpfen zerbröselt oder bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Ich denke, ob CETA oder TTIP, ist völlig egal: Das System ist das Problem.

    1. Ich stimme dir in den allermeisten Punkten zu, allerdings sehe ich auch Probleme mit der Mentalität der Bürger und nicht nur mit dem System auf der Meta-Ebene. Anstatt tatsächlich Solidarität zu probieren und zu leben, gräbt man sich gegenseitig das Wasser ab. Social Entrepreneurship ist noch nicht so verbreitet, Ausbeute bei der Arbeit dafür umso mehr. Es sind nicht nur die langsamen Prozesse in der Bürokratie, sondern auch bei den Bürgern, die eine Weiterentwicklung der Wirtschaftslogik geißeln. Und da kann man fragen: was war zu erst da – Einstellung oder System?

      1. Dein Einwand ist nicht von der Hand zu weisen. Ich würde deshalb als Überlegung einbringen, die Ausrichtung künftiger Unternehmen zu verändern. Weg von Kapitalgesellschaften mit Renditeerwartungen und hin zu gemeinnützigen Unternehmen/Genossenschaften, deren Profite in die Gesellschaft abgeführt werden. Das würde uns jetzt allerings thematisch von CETA und TTIP abbringen.

  3. Freihandel ist schon längst fast weltweit etabliert. Kauft man eine Mercedes C-Klasse Limousine kommt sie aus Südafrika während die Geländewagen aus USA kommen. Warum kommen die Apples aus China und die Samsungs aus Südkorea? Weil für elektronische Geräte der Zoll 0 (in Worten Null) ist. Die Mehrwetsteuer ist der neue Zoll (typisch 20%) und die wird in jedem EU Land anders gehandhabt. Das Chaos kann dann ja auch beliebig ausgenutzt werden. Ein Beispiel sind z.B. die Reimporte der Automobilindustrie. Die Autos werden nach Ungarn verfrachtet und wieder zurück nach Deutschland und sind plötzlich 20% billiger. .Schiedsgerichte sind auf vielen Gebieten bereits jahrzehntlange Praxis. Haben zwei Vertragspartner ungleiche Rechtssysteme geht es ohne gütliche Eingung oder eine Schiedsstelle nicht. Die UN Regeln werden gemäß Grundgesetz ohne Diskussion in die deutsche Rechtssprechung übernommen, ähnlich WTO usw.

    Da haben weder unsere Regierung noch unser Parlament etwas zu sagen. Die Bürger fühlen sich da unbehaglich. Der Zug ist aber schon längst in die falsche Richtung abgefahren. Eines ist aber jetzt schon sicher – weder TTIP noch CETA werden globales Wachstum produzieren. er Kuchen wird nur anders verteilt.
    Die Hidden Agenda ist: Das viele virtuelle Geld auf der Welt sucht Anlagemöglicheiten in der Realwirtschaft, die langfristig reale Rendite verspricht. Beispiel Ungarnd – dort hat ein externer Konzern die Wasserversorgung übernommen. Die Regierung musste dafür die Nutzung privater Brunnen untersagen. Damit wurden die Kleinbauern ihrer Lebensgrundlage beraubt. Das Wasser für ihre Felder wäre teurer als die Erlöse, die sie für ihr Gemüse erzielen können. Anderes Beispiel: Ein ägyptisches Konsortium baut einen Staudamm für 9 Milliarden $ in CANADA! Ein russisch, chinesisches Kosortium will in England ein Atomkraftwerk bauen. Einzigr Nachteil: der garantierte Preis für den gelieferten Strom ist doppelt so hoch wie konventionell erzeugter Strom und soll von der Regierung für 30 Jahre garantiert werden. Da ist wohl klar, daß an da nich interessiert ist, daß eine neue Regierung die Abmachung in Frage stellt.
    Deutschland hat ja seine Skandale mit Leasing der Infrastruktur schon gehabt. Die Verträge wurden in New York unterzeichnet weil dort auch betrügerische Verträge gelten. Beim Abschluss gab es dann Hormon Steak und keine Chlorhühnchen. Offensichtlich hat aber in Deutschand niemand aus dem Desaster gelernt. Dümmer geht’s nümmer.

    1. Die Situation ist sehr gut dargestellt und verdeutlicht die existierende Verzahnung der wirtschaftlichen Systeme. Ich denke, dass an dieser Konstruktion nichts zu ändern ist, sondern, dass der Hebel bei der Gewinnabschöpfung angesetzt werden muss. Sprich: Profite sozialisieren. Es ist völlig egal, wer Gewinne erzielt, die Hauptsache ist, sie gelangen in den Kreislauf zurück. Aber das scheint die große Hürde zu sein, da jede Anlage Gewinne für die private Tasche abwerfen soll. Dabei wird die Gesellschaft vorzugsweise durch unbezahlte (ehrenamtliche) Arbeit getragen. Das Verhältnis von Erwerbsarbeitsstunden zu ehrenamtl. Stunden ist etwa 1:2, wobei die Erbewerbsarbeit in der ersten Phase der Digitalisierung zurückgehen wird – ohne Produktivitäsverluste. Wenn sich dann noch die Einflussbereiche weiter in Richtung Kapital verschieben, wird es eng: Mit oder ohne CETA und TTIP.

      1. Der ehrenamtliche Bereich ist ein gigantischer Brocken. Hier ein Zitat aus einer Mitteilung des Statistischen Bundesamts vom April 2016: „Im Jahr 2013 hat die in Deutschland lebende Bevölkerung 35 % mehr Zeit
        für unbezahlte Arbeit aufgewendet als für bezahlte Erwerbsarbeit. Wie das Statistische Bundesamt weiter mitteilt, ergibt sich daraus rechnerisch ein Wert für die unbezahlte Arbeit von 826 Milliarden Euro.“

  4. Also mir sind es die bedenken die du unter fundiert nennst. Die Schiedsgerichte betrachten jede Anhebung von Sozial- oder Umweltstandarts als Handelshemnis. Das ist inaktzeptabel. Dabei ist mir auch relativ egal, ob dieses Gericht privat ist oder öffentlichrechtlich. Solange es so gehandhabt wird macht es für mich keinen Unterschied. Es funktioniert ja auch ohne….
    Hinzu kommt die intransparenz. Meine Befürchtung ist ja, dass das Abkommen am Ende fertig ist und dann heißt es, jetzt müssen wir zustimmen, sonst blamiert sich Deutschland o.ä.
    Außerdem bezweifel ich, dass es den großen Wachstumsschub gibt. Ok die eh schon sehr niedrigen Zölle kann man abschaffen oder Sachen angleichen, die keinen Nachteil für jemanden bringen (z.B. breite von Amaturenbretter)

    Ich finde es übrigens nicht gut, dass du Kritik mit Antiamerikanismus in Verbindung bringst.
    Das ganze ist ein Konflikt zwischen Bügern und Konzernen (teile der Politik). Umgekehrt gilt die Kritik auch. Europäische Untetnehmen können auch klagen.

    1. Allein seit dem Jahr 2000 wurden 16 Freihandelsabkommen geschlossen, darunter mit großen Ländern wie Mexiko. Wieso hat sich niemand daran so geschert wie an den aktuellen? Nicht einmal ansatzweise.
      Was Umwelts- und Sozialstandards hat man sich nicht immer dabei verbessert und in den USA ist auch nicht autotisch alles schlechter – die Pharmazulassungen sind dort bspw. strenger, aber es wird halt komplett einseitig betrachtet mit dem Tenor, dass alles aus den USA automatisch etwas schlechteres bedeutet – das ist für mich Antiamerikanismus, der auf Ressentiments basiert.
      Bei CETA differenziert man in der Kritik mittlerweile gar nicht mehr und das stört mich. Die ganze TTIP-Kritik färbt auf die CETA-Debatte ab und das ist unreflektiert. Ich habe das Gefühl, dass man z.T. Dinge kritisiert, die bereits geändert wurden, wie die ACTA-artigen Paragraphen zum geistigen Eigentum.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..