Berufliche und kreative Selbstständigkeit scheint in der Natur des Menschen verankert zu sein. Obwohl der Trend über Gründungen, die als Startups bezeichnet werden, in den vergangenen Jahren auf großes Interesse gestoßen ist, ist die Selbstständigkeit eigentlich nichts Neues. Egal ob während der industriellen Revolution oder im Dienstleistungssektor als Berater – Menschen haben immer Chancen genutzt, etwas Eigenes zu starten. Mit der digitalen Revolution ist es also kein Wunder, dass Apps und Dienste, die vor allem durch die digitale Infrastruktur profitieren, auf dem Siegeszug sind. Aber ist der Unterschied zwischen Startups und klassischen Unternehmen tatsächlich so groß wie man es aus der Startup-Szene hört?
Ich habe mich vor einiger Zeit mit der sympathischen und inspirierenden Madeleine Gummer von Mohl gesprochen. Sie hat das betahaus gegründet – ein Coworking-Space, in dem man sich nicht nur einen Büroplatz mieten, sondern auch die Werkstatt samt Werkzeug und 3D-Drucker nutzen und Weiterbildungskurse besuchen kann. Ein großartiges Beispiel für selbstständige Frauen, die in der Gründerszene rar gesäht sind. Was sie über Selbstständigkeit und moderne Arbeitsmodelle denkt, hat sie mir im hauseigenen Café erzählt:

A: „Madeleine, danke für deine Zeit. Du sitzt hier in einem Ort, wo neue Ideen regelmäßig in Startups geboren werden – was fällt dir zwischen Startup-Menschen und Leuten aus der klassischen Wirtschaft auf?“
MGM: „Wir sehen uns als neutrale Plattform wo beide Welten aufeinandertreffen können und voneinander lernen sollen. Es gibt schon einen Teil in der Szene, die sagt ‚Die old economy stirbt aus, die DAX-Unternehmen wird es bald nicht mehr geben, mit denen brauchen wir keine Zeit zu verlieren‘. Ich persönlich sehe das anders, ich glaube schon, dass einige von den DAX-Unternehmen es schaffen werden, aber das steht und fällt mit der obersten Etage. Also wenn der CEO oder VP nicht dahintersteht, dann funktioniert das nicht. Wenn du den Chef hier sitzen hast, der wirklich dahintersteht, dann kann ein ganzes Unternehmen die Wende hinkriegen. Man sieht es an wenigen Unternehmen, dass sie verstanden haben, wo es hingeht. Als positives Beispiel kannst Du Dir Klöckner – ein Stahlhändler – anschauen – Gisbert Rühl, der GF hat ein neues Team in Berlin gegründet, ihnen Geld an die Hand gegeben und ihnen gesagt, dass sie relativ freie Hand haben und jetzt sind sie ganz aktiv in der Startup-Szene, um auch das Unternehmen zukunftsfähig zu machen. Bei sowas versuchen wir zu helfen wo es geht.“
A: „Glaubst du, dass das Umdenken branchenabhängig ist oder es von der Lebenswelt abhängt? Oder werden früher oder später alle der Digitalisierung anpassen?“
MGM: „Es gibt sicher Branchen, bei denen es schneller geht, aber ich glaube über kurz oder lang werden alle damit zu tun haben. Vor allem werden alle damit umgehen müssen, dass die Arbeitnehmer mündiger werden, die haben ja eine komplett andere Einstellung und Erwartungshaltung zum Arbeitgeber als noch vor 20 Jahren. Flexible Arbeitszeiten sind schon fast Standard, Kinder vom Kindergarten abholen, an eigenen Projekten arbeiten und am Wochenende noch ein Startup aufbauen sind auch schon weit verbreitet. Ich persönlich würde keinen Arbeitsvertrag mehr unterschreiben in dem diese Punkte nicht berücksichtigt sind. Hinzukommt ein natürlicher Umgang mit Transparenz, Kollaboration und flache Hierarchiestufen. In meiner Zeit im Bundestag war ich immer etwas irritiert, dass pro Flurmeter eine Hierarchiestufe existierte und meine Vorschläge von einem Kästchen ins nächste wanderte, dabei saß meine Chefin nur fünf Meter von mir entfernt. Sehr viel effizienter wäre es gewesen, wenn ich direkt zu ihr hätte gehen können.“
A: „Arbeitnehmer fordern also mehr Flexibilität, aber provokant gesagt – das ist auch gelebte Ausbeute, weil man keine klare Trennung zwischen Privatem und Beruflichem hat und mit dem Unternehmen verschmilzt. Man arbeitet von zu Haus, die E-Mails kommen aufs private Smartphone. Was meinst du?“
MGM: „Es gibt ja zwei Sachen: Ich selber weiß, ich muss meine Aufgaben in 40 Stunden pro Woche schaffen, zu welcher Uhrzeit ist erstmal egal. Als ich in den USA war, habe ich mir das Facebook-Headquarter angeschaut und die verbinden ja alles dort – du kannst da Sport machen, Abendessen gehen, hast einen Kindergarten auf dem Campus. Das ist nicht mein persönliches Arbeitsmodell. Ich will nicht, dass meine Freizeit in mein Unternehmen kommt, ich will, dass ich mir meine Arbeitszeit flexibel gestalten kann, damit meine Freizeit Platz in meinem Leben hat. Aber ich will nicht alles an einem Ort haben. Es gibt ja Unternehmen, mit denen du auch in den Urlaub fährst. Im betahaus bieten wir neben der flexiblen Büroinfrastruktur, dem professionellen Netzwerk auch viele Communityevents wie Camps an, allerdings ist das immer freiwillig. Unsere Member wollen sich die Arbeitszeit so einteilen, damit sie Zeit für ihre quality time außerhalb haben und ich glaube das wird für Arbeitnehmer immer wichtiger. Sonst wird es auch für die großen Unternehmen immer schwieriger die intelligenten Köpfe langfristig zu binden.“
Die Leute wollen Wert und Veränderung schaffen.
A: „Denkst du, dass es ein Umdenken bei den Arbeitnehmern gibt in der breiten Masse, die nach mehr Sinnhaftigkeit in ihrem Job suchen?“
MGM: „Ja, total. Den Leuten ist es wichtig für welches Projekt sie sich engagieren. Sie wollen ja nicht für eine inhaltslose Werbekampagne ihre Zeit opfern, sondern wollen Wert und Veränderung schaffen. Das gilt natürlich nicht für alle. Ich habe auch Freunde, die sehr gerne als Angestellte mit klaren Start- und Endzeiten in festen Strukturen arbeiten. Andere wiederum würden sterben, wenn sie einen Tag fest im Büro sitzen müssten. Ich glaube, die Zukunft der Arbeit geht dahin, dass man sich zunehmend die Infrastruktur so einrichtet, dass am Ende das beste Ergebnis herauskommt. Es wird nicht alle Welt in Coworking-Spaces arbeiten, aber es wird normaler. Ich habe letztens auch gelernt, dass es wohl am erfüllendsten sei, wenn man mit seiner Arbeit jemand anderen direkt glücklich machen kann. Bis dahin dachte ich immer es würde vor allem an der Gewinnbeteiligung liegen, aber viel wichtiger ist wohl der direkte Effekt auf andere.“
A: „Glaubst du, dass diese neue Startup- und Arbeitskultur nur in Berlin und den anderen Großstädten angesagt ist, oder dass sie die ganze Republik durchdringt? Ich kenne viele Leute aus meiner Heimat, die sich für klassische Ausbildungen und Berufswege entschieden haben.“
MGM: „Ich glaube schon, dass Berlin die Leute speziell anzieht, aber ich bin in einem Dorf großgeworden, ich war eine der letzten in meiner Klasse, die eine E-Mailadresse hatte oder wusste, wie man einen Computer bedient und jetzt bin ich mittedrin in der Techszene. Was ich allerdings von zu Hause mitbekommen habe ist, dass wenn du mit etwas unzufrieden bist, dann ändere es und warte nicht darauf, dass jemand anders es tut. Nimm selbst die Dinge in die Hand und übernimm Verantwortung! Du kannst, wenn du willst, alles lernen. Ich habe Geschichte studiert – das ist nicht das beste Fach, um ein Unternehmen zu führen, aber ich habe mir die Dinge mit etwas Hilfe beigebracht. Ich glaube, dass muss man auch Schülern beibringen – über den Tellerrand schauen, etwas wagen und nicht auf die Politik oder die äußeren Umstände warten. Mir ist es wichtig, dass das Curriculum in Schulen mehr Unternehmertum einbaut. Besonders einen positiven Blick auf Unternehmer. Nach dem Abitur habe ich auch nicht sofort daran gedacht etwas zu gründen. Ich wusste, dass es Leute gibt mit eigenen Unternehmen, aber ich wusste nicht, wie ich da selbst hinkommen kann. Außerdem ist es toll, dass langsam nicht mehr nur noch die perfekten CVs angeschaut werden, sondern auch krummen Lebensläufen eine Chance geboten wird. Für mich ist es immer auch wichtig, dass ein Bewerber auch schon einen Rückschlag gemeistert hat.“

A: „Glaubst du, man muss als Gründer für seine Idee zu 100% brennen oder ist es besser, wenn man sich rational einer Idee widmet, die leicht Geld bringt?“
MGM: „Wir haben jemanden bei uns im Team der muss immer für die Sache brennen, sonst ist er schnell demotiviert. Andere Gründer, die mehrere Startups schon hochgezogen haben, machen etwas Neues auf, weil es ein strategischer nächster Schritt ist. Das hängt von der Persönlichkeit ab. Nach meiner Erfahrung ist eine hohe persönliche Motivation Segen und Fluch zugleich. Es gibt Dir auf der einen Seite die Kraft schwierige Zeiten zu durchstehen, auf der anderen Seite birgt es ein großes Burnout-Risiko. Wenn die Idee nicht so funktioniert wie du es dir vorgestellt hast, kann es sein, dass du auf einmal komplett an deiner Persönlichkeit zweifelst, weil du gar nicht mehr weißt ‚wer bin ich denn außerhalb dieser Idee?‘. Das ist natürlich eine der Gefahren bei einem Startup, aber wenn du die Leidenschaft hast, dann hilft dir das über die ersten schwierigen Phasen hinweg. Wochenlang nur Müsli essen, weil du gerade kein Geld hast, ist leichter, wenn du für etwas brennst als wenn du dir denkst ‚das ist eh nicht so wichtig, was ich den ganzen Tag mache‘. “
A: „Wie war das bei dir damals?“
MGM: „Wir hatten eine kleine studentische Agentur „Politikfabrik“, unser Büro war immer entweder zu groß oder zu klein, wir waren also auf der Suche nach einem flexiblen Büro, leider gab es 2008 nichts in Berlin. So ist die Idee für das betahaus entstanden, eine alte Fabriketage in der man monatlich so viele Plätze bucht, wie man braucht – das Team kann wachsen und wieder schrumpfen. Damals hatte ich einen kleinen Job im Bundestag, wovon ich meine Miete zahlen konnte und parallel hatten wir Zeit das betahaus aufzubauen. Als die Stelle im Bundestag mit Ende der Legislaturperiode auslief, konnten wir anfangen, uns langsam etwas Gehalt auszuzahlen – erst 500€, dann 1000€ und so ist das Konzept mit der Zeit gewachsen. Ich führe dich gleich mal rum und zeige dir, was daraus geworden ist.“
Madeleine zeigte mir das betahaus, das im Herzen von Kreuzberg liegt. Für Tüftler, Programmierer, Unternehmer und Kreative ist es eine coole Einrichtung. Vielen Dank für deine Zeit und Einsichten, liebe Madeleine!