Psychometrie getestet – Facebook liegt doch daneben!

Algorithmen, Miktrotargeting und haargenaue Analysen durch Facebook-Likes. Viele haben sicherlich den Artikel „Ich habe nur gezeigt, dass es die Bombe gibt“ im Schweizer Medium „Das Magazin“ gelesen, in dem der Psychologe Michal Kosinski erklärt, wie leicht es ist anhand der Facebook-Likes minutiöse Persönlichkeitsprofile zu erstellen. Ich gebe zu, dass ich im ersten Moment auch beeindruckt und besorgt zugleich war. Das Komplott baute sich vor meinem inneren Auge auf: UKIP und das Trump-Team haben die Big-Data-Dienste des Unternehmens Cambridge Analytica eingekauft, wodurch sie Bürger gezielt manipulieren können – wir sind alle verdammt! Nachdem der kurze Schwall von Hysterie dann vergangen war, fragte ich mich, ob dies wirklich so stimmen konnte. Ich erinnerte mich an diverse Persönlichkeitstests und Tools, die damit warben, meinen Charakter durchblicken zu können. Auch auf Grundlage von Facebook-Likes.

Ich spielte dann mit drei Tools: Zum einen Apply Magic Sauce und Predictive World, die am Psychometrie Zentrum der Universität Cambridge – wo auch Kosinski forschte – entwickelt wurden. Sie ziehen beide die Stammdaten aus Facebook, sind aber in der Ergebnisdarstellung anders aufgebaut. Zum anderen nahm ich den Persönlichkeitstest 16Personalities, das auf dem Myers-Briggs-Typindikator (MBTI) basiert. Er kategorisiert Menschen anhand der Kriterien Motivation, Aufmerksamkeit, Entscheidung und Lebensstil und wird häufig im Personalwesen eingesetzt, die wissenschaftliche Psychologie lehnt das Verfahren jedoch ab. Ich habe mich dennoch für die Gegenüberstellung entschieden, da ein Teil der Ergebnisse von Apply Magic Sauce/ Predictive World auch die Kategorisierung nach MBTI aufgreift.

Zu den Ergebnissen:

Predictive World lockt mit einem futuristischen Design und der Berechnung der Lebenserwartung. Meine liegt nach manueller Anpassung von Gewicht, Größe, Gehalt und Alkoholkonsum bei 91 Jahren. Mal schauen, ob das klappt. Apply Magic Sauce schlüsselt hingegen die Korrelationen ein wenig auf – welcher Like führt zu welcher Kategorisierung. Nach Analyse von 183 Likes sieht meine Persönlichkeitsstruktur wie folgt aus:

personality

Ich werde dabei als INTP-Persönlichkeit anhand meiner Facebook-Likes kategorisiert, eine extrem logische Person. INTP steht für Introversion, Intuition, Thinking, Perceiving. Das seien also meine dominanten Charakterzüge. Das passt mit dem Bild, das von mir gemalt wird: mag Independet-Filme am liebsten (stimmt) und intellektuelle Bücher, hasst dabei Romanzen (stimmt auch).

predictiveworld

Was mich dabei allerdings stutzig macht: ich bin überhaupt nicht introvertiert, im Gegenteil. Ich konsultiere mein MBTI-Ergebnis, nach dem ich zu 80% als extrovertiert mit der Persönlichkeitsstruktur ENFP (Extroversion, Intuition, Feeling, Perceiving) kategorisiert werde. Die Ergebnisse widersprechen sich bei den fundamentalen Fragen, ob ich introvertiert oder extrovertiert sei und ob ich mich auf mein Denken oder mein Gefühl verlasse. Das macht einen großen Unterschied. Klare Fehlerquellen gibt es bei beiden Modellen, denn das MBTI-Modell basiert einem Fragenkatalog, den man nach eigener Einschätzung selbst ausfüllt. Ich habe ihn innerhalb der vergangenen Monate ca. zehn Mal gemacht und immer kam dasselbe Ergebnis raus. Eigen- und Fremdwahrnehmung können aber voneinander abweichen.

enfp

Bei Apply Magic Sauce/ Predictive World habe ich mir erlaubt eine kleine Modifikation vorzunehmen. Mich hat stutzig gemacht, wie das Ergebnis zustande kommt, wenn es auf Korrelationen basiert. Dass ich beispielsweise als sehr liberal und künstlerisch kategorisiert werde, liegt daran, dass ich Pink Floyd und den Jazz-Trompeter Miles Davis geliked habe. Wenn es hingegen um meine kompetitive Seite geht, korrelierte das Tool die Abhängigkeit zwischen der Charaktereigenschaft und meinen Likes der Satireserie South Park und dem Film Inception.

Besonders lustig wurde es aber, als ich auf die Intelligenz- und Lebenszufriedenheitsskale blickte: der Statistik nach, schätze das Tool ein, dass ich intelligenter als 85% der anderen User war, aber auch unglücklicher als 79%. Ich schaute, was mich dümmer erscheinen ließ. Es war eindeutig, mein guilty pleasure schlechte Pop-Musik benebelte die Statistik: Katy Perry und Taylor Swift. Kurz entliked und siehe da: ich wurde prompt zu 94% intelligenter als der Rest eingestuft – mit zwei Klicks wurde ich zum Genie! Aber, dass Katy und Taylor sich aus meinem digitalen Leben verabschieden mussten, wirkte sich auf meine Zufriedenheit aus – sie sank noch mehr. Komisch, dabei war mir nie aufgefallen, dass um mich herum die Mehrheit glücklicher schien.

intelligence

Jetzt weiß ich so viel wie vorher, meine Selbstwahrnehmung meiner Persönlichkeit lag nach bisherigen Erfahrungswerten in der realen Welt nicht daneben. Was die Online-Tools betrifft, ist die Trefferquote bisher eher mau. So simpel ist es wohl doch nicht, Persönlichkeitsstrukturen aus wenigen Likes abzuleiten – das Urteil liegt zum Teil vollkommen daneben. Allerdings weiß ich auch nicht, mit welchem Datenstamm Trumps Wahlkampfteam gearbeitet hat und auf welche Weise Daten verkauft werden, die kostenfreie Tools nicht direkt beziehen können. Ist Psychometrie ein Risiko? Mit verfeinerter Technik und gezielten PR-Methoden sicherlich. Sollte man einen ganzen Wahlkampfausgang damit erklären? Nein, denn das würde in der Konsequenz allen Menschen die Fähigkeit des eigenen Denkens absprechen und den Einfluss anderer Sozialisationsinstanzen untergraben.

Nachtrag: Zweifelsohne werden Medienanalysetools mit der Zeit besser, dürfen aber nicht der einzige Erklärungsansatz bleiben. Es ist schließelich nicht klar, ob jeder User online ein authentisches Bild über seine Lebenswelt vermittelt, auf dem man eine Analyse aufbauen kann. Vielmehr sollten uns das Wissen über moderne Algorithmen dazu bringen, unser Verhalten auf sozialen Plattformen zu überdenken. Solange keine klaren Regulierungen für Onlinetools und verstärkte Datenschutzrichtlinien bestehen, wissen wir nämlich nicht, wie weit der Eingriff in die Privatsphäre gehen in Zukunft gehen könnte.

Probiert die Analyse-Tools doch selbst aus und teilt mir mit, ob die Ergebnisse bei euch zutrafen!

3 Kommentare zu „Psychometrie getestet – Facebook liegt doch daneben!

  1. Eine interessante Darstellung. Der Traum, die Psyche des Menschen zu ergründen und jedes Verhalten zu antizipieren, treibt die Entwickler an (vor allem, um die Werbung zu optimieren, die Targeting schon seit Jahren betreibt). Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass nur in der Reflexion das Verhalten erklärbar ist. Die Unberechenbarkeit im Charakter erlaubt keine vorauseilende Analyse.

  2. Ich empfehle die Like-Askese. Lieber lasse ich mich als Geheimniskrämer,, der die dubiosen Systeme nicht durch Input unterstützt. Kommentare gibt es bei mir nur für gute Inhalte!

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