Arbeite besser – nicht länger!

Fast vier Jahrzehnte dauert das Arbeitsleben in Deutschland im Durchschnitt – 38,4 Jahre, um genau zu sein. Erwerbsarbeit begleitet die meisten Menschen durch einen großen Teil ihres Erwachsenenlebens und ist dabei viel mehr als ein Mittel, um das Private zu finanzieren. Für den einzelnen ist Arbeit oft vielmehr als nur das. Sie bietet Orientierung und Verortung, Herausforderung und einen Raum der Begegnung. Für die Volkswirtschaft ist Arbeit eine wesentliche Komponente für Wohlstand und Innovation.

In den letzten Jahren scheint es jedoch in Deutschland ein Problem damit zu geben wie wir arbeiten. Zum einen scheinen die Deutschen unzufrieden mit ihrer Arbeit zu sein – eine internationale Vergleichsstudie des Unternehmens Peakon untersuchte unter 500.000 Befragten aus den USA, Großbritannien, den skandinavischen Ländern und Deutschland die Zufriedenheit mit der Arbeitssituation. In Deutschland war lediglich ein Drittel der 100.000 Befragten zufrieden. Nicht nur in puncto Bezahlung, sondern auch bei der Bewertung der Weiterentwicklungsmöglichkeiten sowie der Identifikation mit dem Unternehmen schnitten die Deutschen am schlechtesten ab. Was die Skandinavier von Deutschen abhebt? Flexibilität und Eigenverantwortung seien die Kriterien laut Peakon, die zu deutlich mehr Zufriedenheit führten.

Zum anderen hat Deutschland steht Deutschland vor der Hürde der erlahmten Produktivität und Innovationsmüdigkeit. Zwar ist Deutschland im vergangenen Jahr weltweit auf dem zweiten Platz der Patentanmeldungen gewesen, jedoch bedeutet dies nicht, dass jede Innovation auch eine Durchschlagskraft entwickelt. Der US-Ökonom Robert J. Gordon spricht davon, dass immer mehr von demselben entwickelt wird – die großen Innovationssprünge, die das Leben fundamental revolutionieren wie das Erfinden der Elektrizität scheinen gegenwärtig auszubleiben.

Bei meiner Recherche wie mit diesen beiden Herausforderungen umzugehen ist, stieß ich auf Cal Newports Buch „Deep Work“. Es handelt sich im Grunde um eine Anleitung wie man sich selbst so organisieren kann, dass man besser arbeitet, jedoch steckt hinter seinen Ideen viel mehr. Newport verknüpft nämlich Arbeitszufriedenheit und Innovationskraft in seinem Konzept der „tiefen Arbeit“.

Mit „tiefer Arbeit“ meint Newport den Zustand sich selbst an die Grenzen seiner geistigen Kapazitäten zu bringen, um einerseits besser bei der eigenen Arbeit zu werden, und andererseits einen echten Mehrwert zu schaffen. Sein Fokus liegt primär auf den „Wissensarbeitern“ – also Menschen, die in Büros sitzen und geistige Dienstleistungen anbieten. Newport kritisiert, dass die allermeisten von uns in einem Arbeitsumfeld leben, welches es ihnen nicht ermöglicht, das meiste aus sich selbst zu holen und sie zu stupiden, flachen Aufgaben verdammt.

Der Hauptgrund dafür ist die ständige Ablenkung. Newport hat beobachtet, dass ständige Telefonate, der Drang E-Mails zu checken, in sozialen Netzwerken präsent zu sein, der Druck für Vorgesetzte Aufgaben schnell und sofort abzuliefern und der Lärmpegel eines Großraumbüros keine optimalen Bedingungen sind, um vertieft konzentriert zu arbeiten. Man driftet mit jeder Ablenkung wieder ab und verweilt in oberflächlichen Beschäftigungen, bis der Tag vorbei ist. Und dies wiederholt man im Zweifel fünf Tage die Woche. Dass sich Frust einstellt und man sich von seiner Arbeit entfremdet, ist dabei kein Wunder. Natürlich sind Kooperation und Kommunikation in Unternehmen wichtig, aber es lohnt sich zu überlegen, ob ein Umfeld, in dem jeder ständig den anderen stören kann, kreativ sein kann. Stattdessen kann es klare Räume für Austausch geben – eine Tätigkeit, die in der Regel weniger Konzentration bedarf.

Um auf eine Weise zu arbeiten, die einerseits erfüllend, andererseits auch produktiv ist, identifiziert Cal Newport zwei Bedingungen: die erste ist die Fähigkeit ständig komplexe Themen und Neuentwicklungen zu erlernen und zu begreifen. Die zweite ist die Fähigkeit aus dieser Komplexität etwas zu erschaffen, das einen Mehrwert bietet – z.B. ein Artikel, eine Dienstleistung, einen Lösungsvorschlag für ein Problem im Unternehmen. Diese zwei Bedingungen knüpfen an Peakons Beobachtungen in Skandinavien an: Es sind gerade Flexibilität und Eigenverantwortung im Betriebsablauf, die es Mitarbeitern gestatten, neu zu denken und etwas Eigenes zu entwickeln.

Flexibilität heißt in diesem Zusammenhang jedoch mitnichten die ständige Erreichbarkeit und verschwimmende Grenzen zwischen dem Beruflichen und dem Privaten. Newport selbst ist zweifacher Familienvater und macht nach Feierabend auch wirklich Feierabend – er nutzt jedoch die Zeit in seinem Büro dafür fokussiert zu arbeiten. Mit Flexibilität ist an dieser Stelle Gestaltungsfreiraum gemeint. Der „Deep Work“-Autor geht davon aus, dass man seine Produktivität durch Konzentrationsübungen so weit bringen kann, dass man vier Einheiten je 90 Minuten mit einer halben Stunde Unterbrechung in einem Arbeitstag unterbringen kann, bis man an die Grenzen seiner geistigen Schaffenskraft gekommen ist. Natürlich ist das für die allermeisten nicht umsetzbar, sich für sechs Stunden vollkommen abzuschotten, doch selbst innerhalb von drei Stunden kann so viel Arbeit geleistet werden, dass sich der Tag bereits gelohnt hat. Es ist ein moderner Trugschluss, dass Überstunden auf höhere Qualität der Arbeit schließen lassen – vielmehr ist es wichtig, (Lebens-)Zeit gut zu nutzen.

Was mir bei Newports Untersuchung besonders gut gefällt, ist wie er aufzeigt, dass „tiefe Arbeit“ Zufriedenheit schafft – dadurch, dass man selbst etwas entwickelt und seine Konzentration auf eine Aufgabe richtet, stellt sich das Gefühl der Sinnhaftigkeit ein. Diese Sinnhaftigkeit führt automatisch dazu, dass man produktiver, schlauer und somit erfolgreicher wird. Das Hauptargument Newports ist, dass unsere Welt durch neue Entwicklungen in Gesellschaft und Technologie immer komplexer wird – der Bedarf ist dafür da, die neuen Trends zu begreifen, zu erklären und weiterzuentwickeln, jedoch sind immer weniger Menschen in der Lage, diese Komplexität selbst zu durchdringen. Manchmal suchen sie selbst die Ablenkung und simple Aufgaben, die suggerieren sie seien „busy“, manchmal bietet das Arbeitsumfeld schlicht nicht die Ruhe, die es braucht.

Es sei laut Newport übrigens ein Mythos, dass man etwas finden müsse, dass man liebt, um erfolgreich zu sein. Bisher deuten arbeitspsychologische Studien darauf hin, dass es vertiefte Fähigkeiten und ein fokussiertes Verständnis für seinen Bereich bedarf, um etwas Sinnvolles zu erschaffen. Soweit man die Verknüpfung von seiner Arbeit zur Sinnhaftigkeit gelegt hat, stellt sich die Zufriedenheit mit der eignen Beschäftigung ein.

Unabhängig von den Gründen, die uns von der Tiefe abhalten – die Erwerbsarbeit wird auch mit der Perspektive der Digitalisierung und Automatisierung vorerst für die allermeisten Deutschen nicht verschwinden. Als Gesellschaft wären wir gut beraten, wenn wir uns gerade deswegen überlegen, wie wir in Zukunft arbeiten möchten, auf welche Weise Sinnhaftigkeit entsteht und wie wir einen ehrlichen Mehrwert generieren. Wir verbringen zu viel Zeit unseres Lebens mit Arbeit, um wenig darüber nachzudenken, welchen Einfluss sie auf den Einzelnen und die Gruppe hat. Mit ein wenig mehr Konzentration und Ruhe finden wir vielleicht die Antworten.  

2 Kommentare zu „Arbeite besser – nicht länger!

  1. Problematisch ist der Begriff der Wissensarbeiter. Es gibt massenhaft Menschen, welche es für Arbeit halten, wenn sie auf Twitter herumtorkeln oder Miniaturumfragen zur Facebook Nutzung starten. Letztendlich hat sich eine neue Kaste der „Hippie-Arbeiter“ entwickelt, welche im System „Medien, Politik, VIP-Promi-Blogger-Rapper-Mist“ wahlweise aktiv oder als Zuarbeiter unterwegs sind und sobald sie von dieser „Schwerarbeit“ leben können, das mit Arbeit verwechseln. Arbeit bedeutet die Arbeit erst sehen, dann etwas denken und planen, danach arbeiten und anschliessend die Arbeit zu beenden. Das kann auch mal länger als ein Menschenleben dauern, wenn ich einen so einen Dom baue, wie er letztens in Paris abgebrannt ist. Heute ist alles komplex und unendlich, ob das nun das Optimierungspotential von Apps oder das Verschmelzen im globalistischen Welt-Politik-Universum angeht, das Ende der Arbeit ist nie in Sicht. Und das beste von allem: Mit Twitter gibt es den Zähler für das persönliche Versagen:

    Idioten wie Donald Dumpf oder Vollidioteninnen (= neue Menschen) wie Kim Kardashian stehen ganz oben in der „Nahrungskette“ weit weg von den Dingen, die hier immer als gegeben vorausgesetzt werden: analoge Produktion von Nahrung und Kleidung beispielsweise, also wichtiger Dinge.

    821 Million People are Hungry Worldwide und Twitter ist der Ort, wo die Elite der Welt sich trifft. Yo, Bro, voll fett. Zweimal 90 Min. „focussiert“ arbeiten langt heute schon, wenn ich meine abgelenkten, ebenfalls klickenden oder wischenden Mit“arbeiter“ gleich nebenan „weltweit“ übertrumpfen will. Echte Arbeit wäre in meiner Welt ein Jahr offline gehen und sich mit analogen Dingen zu beschäftigen, vermutlich ein tödlicher Ansatz für die o.a. „Hippie-Eliten“. Jm2C und nun:

    Weiterarbeiten….

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