Wenn die Rezession kommt: Vorbereiten auf das Ungewisse

Die deutsche Industrie ist seit dem vergangenen Sommer in einer Rezession. Erreicht sie nun die Arbeitnehmer? Die angekündigten Entlassungswellen bei Daimler, der Deutschen Bank und Bayer könnten jedenfalls ein Hinweis darauf sein. Dass die schwächere Auftragslage, die Ungewissheit im Handelsstreit zwischen China und den USA sowie der wahrscheinlich gewordene harte Brexit, die deutsche Wirtschaft treffen würden, war absehbar.

Zwar ist Deutschland von einer tiefen Rezession wie zu Zeiten der Weltwirtschaftskrise 2009 meilenweit entfernt, jedoch ist es dennoch notwendig, sich über die den Wegfall von Arbeitsplätzen Gedanken zu machen. Einerseits kann eine Rezession dazu führen, dass Unternehmen schneller als langfristige Sparmaßnahme in die Automatisierung investieren und langfristig weniger Stellen schaffen, andererseits ist der Effekt der digitalen Transformation ein Trend, der sich in den kommenden Jahrzehnten sukzessiv sowieso einstellen wird.

Was genau passieren wird, weiß niemand so genau. Die Entwicklungen in den USA können jedoch darauf hinweisen, worauf Arbeitnehmer sich einstellen müssen. Die Journalistin Ellen Ruppel Shell hat in ihrem Buch „The Job – Work and its Future in a Time of Radical Change” eine Reise durch die Regionen der Vereinigten Staaten gemacht, die mittlerweile als „Rust Belt“ bezeichnet werden – jene Städte, die eins die Perlen der Industriekraft des Landes waren, gegenwärtig jedoch vor allem durch hohe Arbeitslosigkeit und sinkende Lebenserwartung Schlagzeilen machen.

Die Autorin beschreibt, was passiert, wenn Arbeitsplätze entweder outgesourct oder automatisiert werden. Nicht nur individuelle Schicksale sind durch den Verlust der Existenzgrundlage betroffen, sondern auch die Gemeinden und der soziale Zusammenhalt. Großkonzerne, die einst die Herzkammer von Städten waren, in denen sich Menschen begegneten und kennenlernten, rissen durch Schließung oder Massenentlassungen eine tiefe Lücke in den Alltag. Auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise 2009 entschieden sich Manager ihre Geschäftsmodelle durch den Abbau von Personal oder Automatisierung zu retten. Folglich kamen die Jobs auch nach dem Ende der Rezession auch nicht wieder. Wozu auch, wenn technische Lösungen eine kosteneffizientere Variante der Produktion boten?

Was in der Vergangenheit primär Arbeitsplätze im produzierenden Gewerbe getroffen hat, wird der Prognose von Ruppel Shell in Zukunft die Breite Mittelschicht treffen. Es werden Arbeitsplätze sein, die eine mittlere Qualifikationsstufe bedürfen – auch im Dienstleistungssektor. Versicherungen und das Finanzwesen werden genauso betroffen sein, wie industrielle Jobs in der Elektrobranche. Die beliebten Ausbildungsjobs, die Lehrlinge für die Buchhaltung oder Administration fit gemacht haben, werden kein Garant für eine gute Beschäftigung sein.

Wer nun denkt, dass eine Ausbildung im Bereich der IT einen sicheren Arbeitsplatz gewähren wird, liegt ebenfalls falsch. Zum einen werden punktuelle Programmierarbeiten outgesourct, zum anderen werden viele „mittlere Dienstleistungen“ auch in diesem Bereich zukünftig durch Künstliche Intelligenz ersetzt werden. Lediglich eine digitale Avantgarde hat in diesem Segment gute Aussichten.

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat untersucht, dass zwar nicht gesamte Berufsbilder wegfallen, jedoch bis zu 70 Prozent der alltäglichen Aufgaben automatisiert werden können. Es werden jedoch nicht alle Berufsgruppen von dieser Tendenz betroffen sein. Ellen Ruppel Shell beobachtete, dass es entgegen der breiten Annahme nicht die Facharbeiter sind, die händeringend gesucht werden – dafür haben zu viele Großunternehmen ihre Produktionsstandorte verlagert oder automatisiert. Stattdessen wächst der Bedarf an „simplen Tätigkeiten“, die keine lange Ausbildungskarriere bedürfen. Prognosen zufolge könnten in den USA in 15 Jahren nahezu zwei Drittel der Jobs auf dem Markt nicht mehr als die mittlere Reife voraussetzen.

Neben einer kleinen Elite, die Innovationen vorantreibt, sind es soziale Berufe in der Erziehung, Pflege und Ausbildung sowie körperlich anstrengende Jobs wie im Baugewerbe, die nicht ersetzt werden können. Bisher sind das jedoch Berufe, die nicht sonderlich gut vergütet werden. Ruppel Shell erkennt, dass nicht alle Bürger in diesen Branchen beschäftigt sein können und zeichnet ein ernstes Bild für die Zukunft: durch den geringeren Organisationsgrad bei Gewerkschaften und den globalen Preisdruck, wird es zunehmend weniger Arbeitsplätze geben, die ein ausreichend gutes Gehalt sowie eine stabile, langfristige Beschäftigung bieten.

Die „The Job“-Autorin sieht als einzigen Ausweg die Entwicklung des unternehmerischen Geistes in der Breite der Bevölkerung. Lebenslanges Lernen, das Wechseln von Branchen und Arbeitgebern in einer schnellen Taktung sind in den USA zu erwarten. Da die dortige Gesundheitsvorsorge bedeutend teurer ist und nur in stabilen Arbeitsverhältnissen mitgetragen wird, sei es unabdingbar, dass mehr und mehr Menschen ihr Glück und ihre Sicherheit selbst in die Hand nehmen.

Das Bild aus den USA ist krasser als das, was wir in Deutschland erleben. Wenn jedoch nur 10 Prozent dieser Entwicklungen sich auf die gesamte westliche Welt ausbreiten, dann wird es auch in der hiesigen Gesellschaft brodeln. Mit Arbeitslosigkeit ist nämlich nicht nur die finanzielle Lebensgrundlage bedroht. Arbeit gibt Menschen nämlich auch das Gefühl gebraucht zu werden und hält die Gesellschaft zusammen. Arbeit ist ein Integrationsmotor, der seit dem Zweiten Weltkrieg Begegnungen ermöglichte und einen gewissen Rahmen setzte für Ethos sowie Gepflogenheiten in einer Gemeinschaft. Und das System der sozialen Marktwirtschaft wird infrage gestellt, wenn Erwerbsarbeit – das Vehikel der sozialen Mobilität – fast nur noch in eine Richtung funktioniert: nach unten.

Das sicherheitsorientierte Wesen der Deutschen, die mit dem Glauben an stabile Beschäftigung und den Kampf für gute Arbeitsbedingungen aufgewachsen sind, könnte bei zu vielen destabilisierenden Entwicklungen auf dem Beschäftigungsmarkt in Rage geraten. Die Fragen werden aufkeimen, weshalb die Berufe, die nicht wegrationalisiert werden können im Zuge der Automatisierung vergleichsweise schlecht bezahlt sind. Die gegenwärtige Rezession wird Deutschland aller Voraussicht nach jedoch nicht das Genick brechen. Der Platz für aufrichtige Zuversicht wird jedoch immer geringer.

2 Kommentare zu „Wenn die Rezession kommt: Vorbereiten auf das Ungewisse

  1. Interessanter Beitrag.
    Unbestritten ist, dass die digitale Automatisierung zu massiven Veränderungen des Charakters der traditionellen Erwerbsarbeit führen wird. Dennoch stehe ich der These von Ellen Ruppert Shell, als Antwort darauf das individuellen Unternehmertum zu stärken, eher kritisch gegebenüber. Dies geschieht ja in vielen Bereichen der Sharing Economy bereits heute und ich bezweifle, dass dies zu wirklich nachhaltigen Arbeitsverhältnissen im Sinne der gerechten Beteiligung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern an der Wertschöpfung führt.

    Meines Erachtens werden die Schattenseiten der Digitalisierung in der Öffentlichkeit wenig bis gar nicht rezipiert („Digitalisierung first, Bedenken second.“) – leider auch von der SPD. Dabei böte diese Entwicklung die Möglichkeit, sich durch innovative Erwerbsarbeit 4.0 zu profilieren (Verringerung der Normalarbeitszeit und Einführung einer Wertschöpfungsabgabe, um nur zwei Stichpunkte zu nennen). Mein Beitrag ist dazu freilich nur ein kleiner Anstoß:

    https://matthias-elbert.de/politik/umdenken-spd/

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