Als ich vor zehn Jahren frisch an der Uni war, war ich sehr zuversichtlich: ich dachte, dass die Zeiten für Frauen großartig seien. Endlich würde meine Generation erleben, was es bedeutet die gleichen Freiheiten wie ein Mann zu haben bei der Berufswahl und im Privatleben. Wir dachten – „we can have it all“.
10 Jahre vorgespult: ich sehe wie eine schlaue Frau nach der anderen in meinem Berliner Umfeld in dieselbe Falle getappt ist, wie Männer über Generationen zuvor – „work hard, play hard“ ist zu einem inneren Mantra geworden, das sich kaum abschütteln lässt. Den Preis dafür zahlt das Privatleben – 60-Wochen-Stunden, kurzfristige Dienstreisen, ständige Erreichbarkeit und die Müdigkeit infolgedessen zollen ihren Tribut. Es bleibt schlicht weniger Zeit, aber vor allem geistiger Raum für Freunde, Familie oder den Partner.
Klar – das Gehalt, der Aufstieg, die Sichtbarkeit fühlen sich großartig an. Auch Frauen verspüren den Kick und die Motivation, wenn der Erfolg sich auf der Arbeit einstellt und man die Früchte der harten Arbeit ernten kann. Doch war es das, wovon die Mehrheit träumte? Ich kann mich nicht daran erinnern, dass jemand sich wünschte „später will ich richtig lange Arbeitstage haben!“.
Der ursprüngliche Plan war, eine interessante Tätigkeit zu finden, bei der man „Gestaltungsfreiheit“ – was auch immer das bedeutet – hat und „etwas bewegt“. Gleichzeitig hatte kaum jemand auf dem Schirm, dass damit oft viele Überstunden einhergehen würden. Sind 40 Stunden Vollzeit nicht genug?
Was allerdings in der Zwischenzeit passiert war, ist dass die „Hustle Culture“ eingesetzt hat – ein Trend, bei dem glorifiziert wird, viel zu arbeiten. Dabei geht es jedoch nicht um die Arbeit an sich, sondern darum, dass diese Kultur an jene idealistischen Sehnsüchte appelliert, die man früh verspürt hat. „Create something meaningful“ schallt es durch die Coworking-Spaces in Startups, doch auch die Big Four schreiben sich in ihren Image-Kampagnen zunehmend auf die Kappe, „die Welt zu verändern“.
Es ist brillant – warum sollte man auch früh nach Haus gehen, wenn man gerade dabei ist, etwas „bedeutendes“ zu kreieren? Zweifelsohne gibt es jene Startups, die tatsächlich Wirtschaft und Gesellschaft voranbringen. Die Hustle Culture hat ihren Ursprung nicht umsonst in Silicon Valley, wo die großen Einhörner entstanden und tatsächlich veränderten, wie Menschen miteinander reden, wie sie sich informieren, was sie konsumieren.
Kein Wunder, dass eine Jüngerschaft ihren spirituellen Gurus folgt – Elon Musk verkündete seinen 30 Millionen Followern auf Twitter, dass niemand die Welt in 40 Stunden pro Woche verändert habe. Die Welt verändern – könnte es für eine säkulare, geistig dürstende Generation ein höheres Ziel geben? Könnte sich etwas mehr nach Gemeinde anfühlen als ein Startup, in dem man „nicht in einem Team, sondern in einer Familie“ arbeitet und alle dieselbe Überzeugung teilen?
Für viele scheinbar nicht. Unternehmen steigen auf diesen Trend auf und versuchen sich zu modernisieren, um auch in den trockensten Branchen noch einen Hauch von „Purpose“ zu quetschen. Was diese Strategie nämlich so erfolgreich macht, ist die soziale Sanktion, die sich vielerorts eingestellt hat. Geschichten darüber, wie man in PR-Agenturen, E-Commerce-Startups oder Wirtschaftsprüfungen schief angeschaut wird, wenn man um 17 Uhr Feierabend machen möchte, gibt es zu Genüge. Wer die gemeinsame Mission scheinbar verrät, wird infrage gestellt.
Was die Arbeitnehmerbewegung im 20. Jahrhundert mühevoll aufgebaut hat, wird heute von Arbeitnehmern freiwillig in der Praxis eingerissen. Es ist kein Wunder: seit 1965 hat sich der Industriesektor – die Herzkammer von vielen Gewerkschaften – halbiert. Ein Großteil der Arbeitnehmer ist im Dienstleistungssektor beschäftigt. Weil Dienstleistungen nicht gleichermaßen belastend sind, wie Industriejobs, scheint es in Ordnung zu sein, mehr zu arbeiten.
Dabei war es eine große Errungenschaft in der Nachkriegszeit die Wochenarbeitszeit von 60 auf weniger Stunden zu reduzieren. Ein Teil der deutschen Arbeitnehmer gibt diese Errungenschaft gern auf, um sie mit US-Denken zu ersetzen. Obwohl zunehmend über Automatisierung und die „Substituierbarkeit“ von Bürojobs gesprochen wird, wirkt eine Arbeitszeitverkürzung für diejenigen in der Hustle Culture als unattraktiv.
Dies wird besonders für Frauen zu einem Problem: anstatt die Organisationen von innen heraus auf eine Art und Weise zu verändern, die mehr Durchlässigkeit gewähren, geschieht das Gegenteil. Junge, ambitionierte Frauen spielen das Spiel um die Überstunden mit. Das kann auf individueller Ebene sinnvoll sein – der Durst zu lernen und zu kreieren kann tatsächlich beflügeln. Vielerorts wird damit jedoch eine klare Botschaft gesendet: wer hier überleben will, muss sich den Regeln fügen – und die schließen Überstunden mit ein.
Frauen können alles erreichen – wenn sie sich wie Männer verhalten und damit auch die Kinderfrage aufschieben oder gar ignorieren. Eine junge Mutter erzählte mir kürzlich, wie ihr Job bei einem großen Berliner E-Commerce-Unternehmen während der Elternzeit gestrichen wurde. Eine andere erklärte, ihr Vorgesetzter in einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft hätte ihr empfohlen mit dem Kinderwunsch zu warten, falls sie möchte, dass ihr Job noch existiert.
Für Frauen, die keinen Kinderwunsch haben und in der Karriere ihr Glück finden, ist dies kein Problem. Für den Rest, der sich sorgen machen könnte, dass es irgendwann „zu spät“ sein könnte, wird die Hustle Culture zunehmend zu einem Problem. Sie vergrößert nämlich das Risiko, dass Frauen den Zugang und das Wissen zu den Branchen verlieren, in denen die Zukunft gestaltet wird. Das ist insofern auch für Unternehmen ein Problem, weil der demographische Wandel in vielen Branchen den Fachkräftemangel massiv verstärken wird. Es gehen viele Babyboomer in den kommenden 10 Jahren in Rente. Ob man sich dabei ein Arbeitsumfeld leisten kann, das langfristig Familien sanktioniert, ist fraglich.
Das Problem trifft mitnichten nur Frauen. Auch für Männer ist wachsender Druck ein Problem. Die Techniker Krankenkasse veröffentliche in ihrem Gesundheitsreport Zahlen zu Fehltagen aufgrund von Depressionen – Deutschland erreichte 2019 einen neuen Höchststand. Der Hype um Achtsamkeit und Meditations-Apps hilft nicht, wenn der Rest des Lebens chaotisch verläuft.
Ich habe Verständnis dafür, dass man sich in die Arbeit flüchtet. Die Welt ist ein unsicherer Ort, die großen Fragen nach unserer Existenz beantworten immer weniger Menschen durch Religion und gerade in den Großstädten wird Einsamkeit zu einem Problem – es gab noch nie so viele Single-Haushalte wie heute. Eine gute Arbeitsstelle schafft es im besten Fall, Motivation, Freude sowie ein tolles Kollegium und Gemeinschaftssinn zu bieten. Diese Arbeitgeber gibt es. Oft ist sie jedoch nur ein Ersatz, um sich seinen Selbstwert zu spüren.
Nicht jedes Unternehmen hat jedoch einen Sinn. Würde man ganz ehrlich beantworten, ob viele Unternehmen ein „sinnvolles“ oder „weltveränderndes“ Produkt schaffen, so erkennt man schnell, dass dem nicht so ist. Und das ist in Ordnung. Nicht jedes Unternehmen muss wie ein Silicon-Valley-Startup funktionieren und das kompetitive Umfeld schaffen, um Kreativität und Innovation zu fördern. Wozu so tun als würde man so arbeiten?
Danke für diesen kritischen Essay!