SPD-Bundesparteitag in Berlin: für manche eine Art Klassentreffen, andere treibt er in die Weißglut. Kontroverse Anträge über den Umgang mit Flüchtlingen und den Syrien-Einsatz werden abgehandelt. Mittendrin tritt Altkanzler Gerhard Schröder auf, um eigentlich den Verstorbenen Sozialdemokraten Helmut Schmidt, Egon Bahr und Günter Grass zu gedenken und schafft es nebenbei in 17 Minuten das wiederzubeleben, was in der SPD nahezu vollkommen verkümmert ist – politisches Storytelling.
Der streitbare Schröder als Hoffnungsträger
Als 1998 die SPD mit 40,9% die Bundestagswahl gewann und Gerhard Schröder nach 16-jähriger CDU-Regierung Kanzler der Bundesrepublik wird, ist dieser Sieg auch seiner Rhetorik zu verdanken: auf den Punkt, simpel und mit einem schleichenden Draht zu den Emotionen der Bürger. Dass er sich während seiner Kanzlerschaft und in den Jahren danach zu einer streitbaren Figur entwickelt hat, die mit der Agenda 2010 zwar die Wirtschaft Deutschland stabilisierte, aber auch die prekäre Beschäftigung gefördert hat, ist auch in Anbetracht der zwiespältigen Freundschaft zu Wladimir Putin kein Wunder.
Nichtsdestotrotz verbalisiert Schröder in seiner Rede den „Geist der deutschen Sozialdemokratie“ und die Gründe, warum viele Mitglieder sich einst für den Beitritt entschieden hatten. Er gedenkt nicht nur der Verstorbenen, sondern erklärt einprägsam, welche Kraft und Entschlossenheit aus Krisen und Herausforderungen gewachsen sind. „Geschlagen, aber entschlossen“ – so beschreibt er Grass, Bahr und Schmidt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und trifft dabei einen springenden Punkt: die Sozialdemokraten sind zu einem großen Stück bereits geschlagen, unvorstellbar scheint zurzeit ein Wahlsieg auf Bundesebene. Auch die Welt, die so aus den Fugen geraten zu sein scheint, entmutigt viele Mitglieder – doch wo bleibt heute die Entschlossenheit?
Ferner erinnert Schröder daran, dass die Welt immer ein hektischer Ort war – der Kalte Krieg und wirtschaftliche Turbulenzen saßen auch den großen politischen Figuren im Nacken, um die die SPD trauert und auch sie mussten dem Widerstand aus den eigenen Reihen trotzen. Und es geht um Frieden, immer um Frieden. Schröders Rede ist eine große Metapher für den Mythos des Phoenix, der aus der Asche steigt: aus jeder Krise, jeder Herausforderung hat man Motivation geschöpft und auch wenn man in Missgunst fiel – wie Schmidt nach dem verlorenen Misstrauensvotum, das seine Kanzlerschaft beendete – kann man sich politisch wieder regenerieren. Ein Schicksal, das auch Schröder zuteilwird, nachdem er nach acht Jahren das erste Mal wieder auf einem Parteitag sprach?
Politisches Storytelling als Verbindung zum Volk
Dass alle Parteien beschuldigt werden, ihre Ideale verraten zu haben, ist nichts Neues. Nichtsdestotrotz würde eine stringente Linie im Storytelling zumindest dazu beitragen, dass Parteien wieder mehr sichtbares Profil erreichen. Schröder hatte 1998 mit einer riesigen Medien- und Demoskopiekampagne seine Person zur Marke gebracht und konnte die wesentlichen Punkte seiner Partei einfach kondensieren, ohne dabei überfordert zu wirken.
Tatsächlich scheint die moderne Politik vor mehr Herausforderungen zu stehen: die Gesellschaft ist pluralistischer geworden, die Weltpolitik besteht nicht nur zwischen zwei Polen, die Herausforderung Nachhaltigkeit mit Wirtschafswachstum zu vereinen gelingt keiner Partei so richtig. Es scheint, als seien die klugen Köpfe an den Parteispitzen gefangen in der Komplexität ihrer Beschäftigung, während AfD und Pegida es mit simplen inhaltlichen Linien schaffen, die Bürger wieder vor die Tür zu bringen. Politik lebt leider nicht nur von klugen Ideen und Taten, sondern auch von den kommunikativen Instrumenten – nicht zuletzt vom gekonnten Storytelling.
Sehr gut geschrieben. Nun bin ich nicht einer, der den großen politischen Horizont hat. Ich sehe Politik einerseits als die Kunst des Machbaren, und andererseits (leider) als das Streben nach der Regierungsmacht. Und diesen Zwiespalt habe ich auch immer bei Schröder empfunden. Einerseits hat er viel für das Land gemacht und andererseits hat er die Gesellschaft doch auch ein Stück weit gespalten. Die Personen seiner Rede hatten den Vorteil, dass sie in einer Zeit wirken, in der die Welt noch „einfach“ gestrickt war.
Das ist heute nicht mehr der Fall. Umso mehr bräuchte es Politiker mit Weitsicht und Visionen, jenseits allen Machterhalts. Da hatten jene Männer den Vorteil, dass sie nach ihrer aktiven Phase, die Welt von außerhalb betrachten konnten.
Was mir also grundsätzlich fehlt, heute, sind Politiker, die nur auf das schauen, was gut für unser Land und für die Menschen ist, jenseits dessen, was die eigene Person und die eigene Partei ausmacht, und jenseits von Fraktionsdisziplin.
Wenn ich überlege, dann fallen mir nur 2 Menschen zu diesem Thema ein, nämlich Schmidt und Churchill.
Beide haben in sehr schwierigen Zeiten das Notwendige getan.
Meine Meinung.
Ich habe darüber nachgedacht, ob man heutzutage wirklich nur auf das eigene Volk und Land schauen kann und ich bin zum Schluss gekommen, dass es nicht möglich ist. Deutschland it so verzahnt in die globale Wirtschaft, da muss halt auch immer schauen, dass es den Nachbarn und Partnern gut geht, damit man Stabilität in Deutschland wahren kann. Aber was dann auch gutes Leben heißt, das hängt halt stark von der politischen Einstellung ab, da gibt es kein Richtig und kein Falsch, deswegen werden Machtkämpfe immer weiterführt.