Fremdenfeindlichkeit: Es ist nicht die Schuld des Neoliberalismus!

In politisch links angehauchten Kreisen besteht die Tendenz alles auf Ungleichheit und den Neoliberalismus zu schieben, sobald es sich um soziale Probleme handelt. Zweifelsohne haben Neoliberalismus und die wachsende Schere zwischen Arm und Reich zu vielen Problemen geführt, bspw. zu Frustration, fehlenden Glaube an sozialen Aufstieg, Respektlosigkeit zwischen den Schichten. Aber die gesellschaftlichen Entwicklungen, die mit dem Wirtschaftssystem seit Margaret Thatcher und Ronald Reagan einhergingen, wie eine ausgeprägte Ellenbogenmentalität, Opportunismus, Selbstausbeute im Zuge der Selbstoptimierung und abschottender Individualismus, erklären bei Weitem nicht jedes Problem, wie aktuell die Skepsis gegenüber Migranten, speziell Moslems.

Vor allem junge Linke begehen in ihrer Argumentation häufig den Fehler, den sie selbst anprangern: sie „verwirtschaftlichen“. Genauso wie neumodisch in der Politik nicht mehr von Abkommen und Kompromissen, sondern von „Deals“ gesprochen wird, oder fälschlicherweise der weit verbreitete Trugschluss herrscht, dass Volkswirtschaftler stets rational und mathematisch, anstatt ideologisch gefärbt, denken würden, ist die Glorifizierung der Business-Denke sowie der Volkswirtschaft in den Köpfen vieler Leute angekommen – „It’s the economy, stupid!“ ist wahrscheinlich eine der inflationär verwendetsten Artikelüberschriften geworden. Es sei die Wirtschaft, die Menschen xeno- oder islamophob werden ließe. Es seien Abstiegsängste und Sozialneid, die der Kern von Migrationskritik und zum Teil massivem Rassismus seien und man müsse den Menschen einfach mehr Unterstützung und Zugangschancen zu Bildung und der Berufswelt bieten, damit man sich vermeintlich mit einem großen Schritt der Utopie nähert, in der Menschen stets respektvoll miteinander umgehen – unabhängig von Hautfarbe, Religion oder Geschlecht. Ja, aber nein!

Wer tatsächlich begreifen will, weshalb so viele Menschen in Deutschland gegen Migration vor allem aus dem Nahen Osten sind, muss zum einen sein Menschenbild hinterfragen und zum anderen auch über kulturelle, psychologische und soziologische Faktoren nachdenken – dummerweise weiß niemand so recht etwas genau darüber, weil man ja bisher ganz gut und sinnvoll damit gefahren ist, die Wirtschaft als Ursprung aller bösen Entwicklungen zu sehen. Dass aber die mehrheitliche Geschichte der Menschheit von Gier, Betrug und Feindseligkeit bestimmt war, vergessen wir in Europa sehr gerne. Der Frieden ist dabei kein Produkt der Nächstenliebe oder Solidarität, sondern auf gewisse Art und Weise auch Zeichen der Gier und des Egoismus – nur durch Kooperation kann Land X seine Handelsbilanz steigern, mehr Vermögen generieren ohne dabei Verluste durch Krieg und den Ausfall von Arbeitskräften zu befürchten. Ja, Frieden ist marktwirtschaftlich sehr sinnvoll, aber er ist kein direkter Indikator dafür, dass die Menschheit an sich weniger gierig oder betrügerisch handeln würde.

Nein, weder der wirtschaftliche Frieden, noch die negativen Konsequenzen des Neoliberalismus erklären, warum Feindseligkeit besteht – oder zumindest Abneigung gegenüber anderen Volksgruppen. Der niederländischen Wirtschaft geht es beispielsweise so gut wie lange nicht mehr, Rechtspopulist Geert Wilders, der mit einem „Muslim Ban“ entsprechend Donald Trumps ursprünglichem Erlass wirbt, liegt in den Wahlumfragen dennoch vorn. Finanziell arme Menschen sind nicht automatisch ablehnender gegenüber Einwanderern oder Flüchtlingen, im Umkehrschluss sind gut situierte Bürger auch nicht friedliebender. Man braucht sich nur die erste Reihe der AfD anzuschauen: Juristin Beatrix von Storch, Chemikerin Frauke Petry, die an der Elite-Universität Oxford studierte, Publizist Alexander Gauland oder Wirtschaftswissenschaftler Jörg Meuthen sind allesamt gut situiert und gebildet, sehen jedoch in Migration und vor allem durch den Islam eine fundamentale gesellschaftliche Bedrohung. Diese Leute gehören zu einer klassischen materiellen Elite, auch wenn sie selbst gerne gegen „die Elite“ wettern.

Auch wenn es schwer zu verdauen ist: manche Menschen sind wirklich schlicht xenophob, auch wenn sie keine Abstiegsängste haben oder sehr gebildet sind. Ablehnung gegenüber Menschen, die aufgrund eines Merkmals anders als man selbst wirken, resultiert aus dem, was jeder von uns ununterbrochen im Kopf macht: kategorisieren. Wir wissen, wem wir vertrauen würden, bilden Sympathien, fühlen uns wohl, wenn jemand ähnliche Fähigkeiten, Gewohnheiten oder Merkmale aufweist wie man selbst und lehnen diejenigen ab, für die wir kein Verständnis entwickeln können. Das muss nicht immer anhand kultureller oder religiöser Linien verlaufen. Ich erinnere mich noch, als ich auf eine Studentenparty einer Kulturanthropologin war, auf sich alles um Akzeptanz von Multi-Kulti drehte, aber viele Gesichtszüge entglitten, als ein gestriegelter BWL-er den Raum betrat. Ja, auch das ist eine Form der negativen Kategorisierung auf Basis vermeintlich fehlender Gemeinsamkeiten und der Konstruktion eines Feindbildes. Ähnliches passiert auch, wenn in Großstädten piekfeine – und schlecht erzogene – rich kids abfällig über die „Assis“ in Randbezirken reden. Dasselbe Muster.

Neben der psychologisch-kognitiven Kategorisierung zählen auch Kulturerzählungen und „völkische“ Ideologien eine Rolle, die man erst begreifen muss, wenn man nachvollziehen möchte, weshalb ein Stephen Bannon in den USA die weiße Rasse als überlegen betrachtet und Einwanderung verhindern will – seine Wahrnehmung speist sich nicht aus wirtschaftlichen Ängsten, sondern aus identitären Bewegungen, die in Frankreich, aber auch beispielsweise in Ungarn im 20. Jahrhundert auf intellektueller Ebene entwickelt wurden. Der feste Glaube, dass es eine überlegene Rasse gibt, die es „rein“ zu halten gilt und deshalb nicht mit anderen „niederen“ Rassen vermischt werden darf, ist kein Relikt aus einer abgeschlossenen Nazi-Vergangenheit. Nein, Kulturpessimismus, Antisemitismus und Volkstheorien sind wieder auf dem Vormarsch. Eigentlich waren Nationalismus und ethnische Feindbilder niemals verschwunden – man muss nur 20 Jahre zurückgehen und sich daran erinnern, dass Menschen ihre Nachbarn in Bosnien und Herzegowina abgeschlachtet haben, weil sie vermeintlich zur falschen Volksgruppe gehörten.

Hass ist real, Xenophobie ist real, die Überzeugung, dass es eine überlege Rasse gibt, ist für viele Menschen auch real. Manchmal habe ich allerdings das Gefühl, dass diese Tatsachen für den einen oder anderen zu schwer zu akzeptieren sind und man deshalb auf den Neoliberalismus schimpft. Wären Hass und Fremdenfeindlichkeit nämlich ein reines Produkt des Wirtschaftssystems, dann gäbe es theoretisch Hoffnung auf eine Korrektur – man müsste nur die volkswirtschaftliche Ordnung etwas anpassen, damit mehr Menschen dem Club der Pazifisten beitreten. Da psychologische oder kulturelle Muster weniger offensichtlich, aber dafür komplex zu begreifen sind und in den vergangenen Jahrzehnten die Kenntnisse darüber als „brotlose Künste“ abgetan wurden, sind viele Linke überfordert und können keine Antworten darauf finden, wenn sie beispielsweise schlichter Islamophobie begegnen.

Während die identitären Bewegungen nämlich im Untergrund brodelten, blutete die intellektuelle Linke aus und bietet auf Kulturpessimismus keine zeitgemäßen Antworten, noch begreift sie, dass schlichte Begegnungen zwischen Kulturkreisen nicht automatisch zu Akzeptanz und Liebe führen. Wäre dem so, dann gäbe es seit der Ankunft der Gastarbeiter in Deutschland keine Fremdenfeindlichkeit mehr und zuvor hätten Deutsche nicht Deutsche aufgrund der Religion in Konzentrationslager deportiert – man begegnete sich ja: in der Schule, am Fließband, auf Märkten. Das Ende der Xenophobie oder des Antisemitismus konnte man deswegen dennoch nicht einläuten.

Möchte man auf ehrliche Weise den gesellschaftlichen Frieden erhalten, dann muss man knallhart dort ansetzen, wo es wehtut – bei der menschlichen Psyche, die für Kollektivismus, „Wir gegen Sie“-Denken und Gier anfällig ist. Das wussten die Nationalsozialisten und haben diese Fehleranfälligkeit mit Sozialdarwinismus und Propaganda gespeist. Es hat jahrzehntelange Reflexion gebraucht, um den Antisemitismus in Deutschland weitestgehend zu überwinden, es braucht ebenfalls Zeit, Geduld und geistige Anstrengung, um Fremdenfeindlichkeit zu entwaffnen. Das müssen auch Linke einsehen, sofern es ihnen ein aufrichtiges Anliegen ist, für ein Ideal zu kämpfen. Mantrisch den Neoliberalismus verantwortlich zu machen, hat in vielen Fällen Sinn gemacht – bei der Kritik an der Austeritätspolitik beispielsweise – aber Hass sitzt tiefer. Er verschwindet nicht in gleichen Gesellschaften, er kommt nur seltener und moderater zum Vorschein.

5 Kommentare zu „Fremdenfeindlichkeit: Es ist nicht die Schuld des Neoliberalismus!

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