Bei der letzten internationalen OECD-Studie zum Bildungsniveau von Schülern in der Mittelstufe wurden nicht nur Lese- und Rechenfähigkeiten untersucht, sondern auch der Zusammenhang zwischen Leistungsdruck und Erfolg. Die Ergebnisse waren eindeutig: je stärker der Leistungsdruck von außen wächst, umso schlechter werden die Noten der Schüler – sie neigen nämlich eher zu Angst- und Panikstörungen. Dies sollte keine Überraschung sein, aber weshalb halten so viele Gesellschaften noch ein Leistungsdruck fest?
Die Studie der OECD ist keineswegs methodisch einwandfrei, hat aber zum ersten Mal in großem Stil die mentale Gesundheit von Schülern untersucht. Neben der Erkenntnis, dass externer Leistungsdruck zu schlechteren Noten fühlt, gilt auch die Umkehrung: intrinsische Ambition verhilft zu besseren Leistungen, Ängste stellen sich nicht ein. Die Forscher machten externen Leistungsdruck an der Aussage fest, wenn Schüler zustimmten, dass sie die besten in der Klasse sein wollen. Somit verglichen sie sich automatisch mit anderen und wer um jeden Preis besser als seine Freunde sein will, neigt auch zu eigennützigem und egoistischem verhalten. Für Kinder- und Jugendfreundschaften ist das nicht die beste Ausgangslage.

Als der Economist die Ergebnisse der Untersuchung aufbereitete, assoziierte ich mit Angst- und Panikstörungen schnell Depressionen. Es ist nicht nur tragisch, dass bereits junge Menschen mit einer mentalen Last aufgrund von Leistungsdrucks zu kämpfen haben, es wäre wahrscheinlich auch vermeidbar gewesen. Wer sich ein wenig mit Soziologie auseinandergesetzt hat, wird bei dem Zusammenhang der Leistungsgesellschaft wohlmöglich an Émile Durkheim denken. Dieser verglich in seinem 1897 erschienen Werk „Der Selbstmord“ Zusammenhänge zwischen Freitod und Gesellschaft. Höher industrialisierte Staaten hatten zu Durkheims Zeit auffällig höhere Selbstmordraten. Mehr Protestanten als Katholiken brachten sich um, mehr Männer als Frauen, mehr Singles als verpaarte Menschen und die Wahrscheinlichkeit stieg mit dem Bildungsgrad.

Durkheim bettete seine Erhebung in den Kontext der sozialen Isolation ein. Der ökonomische Wandel entkoppelte Bürger langsam von der Religion, die ihnen eine Gemeinschaft, Werteorientierung und einen festen Platz anbot. Stattdessen wurden harte Arbeit und individuelle Entscheidungen wichtiger, um die Leistung zu erreichen, die sich in monetären Belohnungen und Aufstieg widerspiegelte. Die wirtschaftlichen Ressourcen waren zur Jahrhundertwende allerdings auch knapper, sodass es klar war, dass nicht jeder ein großes Stück vom Kuchen erhalten konnte.
Leistungsdruck hat auch tatsächlich lange Sinn ergeben, weil es genug faktische Aufstiegsmöglichkeiten gab, die mit der fortschreitenden Modernisierung einhergingen – die Nachkriegsgeneration hat von technischem und wirtschaftlichen Fortschritt stark profitiert. Die Fleißigen haben oft mehr erreicht als die Generationen vor ihnen. Es ist insofern auch auffällig, dass der Leistungsdruck tendenziell in weniger industrialisierten Staaten wie Peru, Tunesien oder Kolumbien ausgeprägt zu sein scheint – möglicherweise gilt dasselbe Denkmuster: man kann es nach oben schaffen, da das Land sich im Fortschritt befindet.
Welchen Sinn hat Leistungsdruck allerdings in Deutschland? Ich bin dazu verführt zu sagen: gar keinen! Einerseits sind Burnout-Symptome und psychische Beschwerden in den vergangenen Jahren durch die Decke gegangen und müssen nicht weiter forciert werden, andererseits ist durch Fleiß und ehrliche Arbeit auch nicht mehr so viel zu holen. In Deutschland haben diejenigen finanziellen Erfolg, die entweder geerbt haben (ja, ein leidiges Thema, aber es ist nun einmal so) oder unternehmerisch tätig sind. Selbst die unternehmerische Tätigkeit entwickelt sich jedoch nicht mal eben so – man braucht Startkapital von Geldgebern, in welcher Form auch immer. Man ist anfangs abhängig von Banken oder Investoren und kann sich dann mit etwas Glück ein hohes Kapital erwirtschaften, aber durch Beschäftigung im Angestelltenverhältnis wird das nichts mehr.
Wozu also überhaupt noch Leistungsdenken, welches uns im schlimmsten Fall von unseren Liebsten entfremdet? Wer jetzt allein auf die Politik schielt, greift zu kurz. Die Politik hat eine Entwicklung gestärkt, die bereits von Banken und Unternehmen losgetreten worden war – die „McKinseyisierung“ der Gesellschaft ist vor allem geglückt, weil die Bürger sich haben anstecken lassen und in der Hoffnung auf den großen Fang bedingungslos eine Leistungsgesellschaft akzeptiert haben, die an ihre Grenzen stößt. Das soll nicht heißen, dass man auf seine Arbeit, Ausbildung und Weiterentwicklung verzichten sollte. Die Frage, wie viel Mühe in Relation zum realen Output man investieren möchte, muss jeder für sich beantworten. Ein wenig Ernüchterung über die Durchschnittlichkeit der eigenen Möglichkeiten, hilft zumindest dabei demütig seine eigenen Grenzen zu erkennen ohne sich für Luftschlösser abzustrampeln.
Diese Problematik setzt sich sogar bei „Harz4“ Empfängern fort, Der Druck des Jobcenters führt nur zu Angst und Ausweichreaktionen.
Trotzdem sind positive Anreize sinvoll denn am Ende gibt es einen Konkurenzkampf aus dem sich leider kaum jemand frei machen kann. Keine Person, keine Firma, kein Staat.
Ich stimme dem Titel voll und ganz zu. Es scheint mir zudem der beste Ansatz, konstruktiv tätig zu sein, und zu versuchen ein gutes Auskommen zu erzielen, und dabei schlicht gute Arbeit abzuliefern, für sich und die Gemeinschaft
OECD Ubtersuchungen sind meist völlig sinnlos. Was taugen gute Noten als Index wenn sie fuer Erfolg im Leben nicht entscheidend sind. Schluesselfaktor ist der Ehrgeiz Aktionen erfolgreich zu beenden und das Privatleben angenehm zu gestalten. Statistik hilft da wenig. Die deutschen Gymnasien ob Einstein, Goethe oder Pfanni-Leicht Gymnasium haben das irgendwie aus den Augen verloren.
PS Ich gebe zu ohne Druck hätte ich an der Uni keine einzige Prüfung abgelegt.0