Bosnien und Herzegowina – auch die Jugendlichen sind tief gespalten

Bosnien und Herzegowina – wahrscheinlich eines der komplexesten Länder auf dem europäischen Kontinent. Gar nicht so fern von der deutschen Grenze, aber für die meisten absolut unbekannt.

Im Mai 2013 war ich in der Hauptstadt Sarajevo, sowie den nahegelegenen Städten Zenica und Visoko. Es war mehr als nur touristische Neugier, ich wollte mit Menschen sprechen, um Material für meine Bachelorarbeit zu sammeln. Das Thema heißt „Feindbilder der Nachrkriegsgeneration in Bosnien und Herzegowina“. Ein sehr großes Thema, das nicht in einer Bachelorarbeit in der Tiefe bearbeitet werden kann, aber dennoch lohnenswert, weil so viele verschiedene Aspekte in diesem Land zusammenkommen – Geschichte, politische Systeme, Religion, Ethnizität. Viele Faktoren führten zum Krieg in den 1990-ern, dessen Ende keine 20 Jahre zurückliegt. Die junge Generation ist bis heute davon geprägt, auch wenn sie den Krieg gar nicht miterlebt hat. Denoch haben viele Jugendliche Geschichten von ihrer Familie gehört, Verwandte von ihnen sind im Krieg ums Leben gekommen oder verschleppt worden. Mit Hilfe der Organisation „Schüler Helfen Leben e.V.“ habe ich junge Menschen kennengelernt, die mir von sich, ihrem Alltag, ihren Wünschen uns Sorgen erzählt haben.

Vieles hat sich zwar geändert, die neue Generation stellt sich neuen, modernen Herausforderungen, sie wollen in Frieden leben und sich nicht von den vergangenen Konflikten der Ethnien beeinflussen lassen. Dass vor allem die Religion eine große Rolle spielt, wissen alle. Noch immer gibt es im Umfeld der meisten allerdings Beispiele, in denen orthodoxe bosnische und Serben, moslemische Bosniaken und katholische bosnische Kroaten voneinander getrennt leben. Sei es in Form der strikten schulischen Trennung wie bei dem Modell der „zwei Schulen unter einem Dach“, wo lediglich dasselbe Gebäude für voneinander getrennten Unterricht verwendet wird, oder sei es durch gesellschaftliche Trennung in Dörfern und kleinen Ortschaften, in denen die Familie und das Umfeld es nicht tolerieren, wenn Jugendliche sich mit Menschen eines anderen Glaubens treffen.

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„Sarjevo Rose“ in der Innenstadt

Dies ist schwer vorstellbar, wenn man durch Sarajevo läuft. Die Cafés sind voll, Teenager erhellen die Gassen mit ihren Stimmen, westliche Rucksacktouristen füllen Kaffee- und Süßigkeitenläden und probieren die vielen Spezialitäten des Landes in traditionell gestalteten Restaurants, aus denen romantisch-melancholische Folklore zu hören ist, oder genießen die schöne Natur des Landes. Orthodoxe und katholische Kirchen, Moscheen und eine Synagoge sind in großer Nähe im Stadtkern und es scheint zu funktionieren – die Menschen scheinen sich gegenseitig wieder zu vertrauen. Gastfreundlich und sprachgewandt begegenen die Einheimischen den Touristen. Viele von ihnen waren während des Krieges im Ausland und haben Deutsch oder Englisch gelernt.  Doch nach genauerem Hinsehen fallen die Spuren des Krieges auf – die „Sarajevo Rose“ zum Beispiel durchzieht die Innenstadt. Dabei handelt es sich um mit rotem Harz gefüllte Löcher im Boden, die durch Granatsplitter verursacht wurden. Sie erinnern auf den ersten Blick an Blutflecken. Die Bewohner der Stadt haben sie so gestaltet, um den Krieg und seine Opfer nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Darüber hinaus sind es nicht nur die Denkmäler, sondern auch die Einschusslöcher in den Häusern und eingestürzte Bauten in der Innenstadt, die daran erinnern, dass ein bitterer Krieg tobte.

Neben den damaligen Konfliktparteien unterzeichneten auch die damals amtierenden Staatsoberhäuper von Deutschland (Helmut Kohl), den USA (Bill Clinton) und Frankreich (Jaques Chirac) den Vertrag von Dayton, der den Konflikt beendete. Seitdem gerät das Land aber zunehmend in Vergessenheit. Die Europäische Union (EU) hat den Friedensnobelpreis erhalten, allerdings wurde außer Acht gelassen, wie wenig damals für die Beendigung des Konflikts getan wurde und welche Konsequenzen dieser für das Land haben können. Heute schert sich die internationale Gemeinschaft kaum noch um Bosnien und Herzegowina – ist das die Art von Kriegsbewältigung für die man die EU ausgezeichnet hat?

Es scheint nämlich noch so, als seien die Folgen noch immer deutlich zu merken – nicht nur die Wirtschaft ist noch stark getroffen, sondern auch die Gesellschaft, in der ethno-nationalistische Maniulation von Seiten der Medien und volkspopulistischer Parteien eine bedeutende Rolle spielen.

Ob es in Zukunft trotz der schwierigen Vergangenheit sowie der politischen und wirtschaftlichen Lage eine Chance für dauerhaften Frieden gibt, habe ich in meiner Bachelorarbeit untersucht, wobei ich dabei besonders auf die Einstellungen von Jugendlichen anderen Gruppen gegenüber eingegangen bin. Die Gespräche waren intensiv, interessant, manchmal etwas schwierig, aber auch überraschend und auf jeden Fall bereichernd. Ihre Sorgen ähneln derer aller Jugendlicher: Job, Ausbildung, Familie, Studium – das macht ihre Lebenswelt aus, doch nahezu unbemerkt haben sich feste Meinungen durch das Umfeld über den vergangenen Krieg und andere ethnische Gruppen gebildet und diese sind nicht immer erfreulich. Die Gräben in den Köpfen scheinen doch noch vorhanden zu sein, doch man wünscht den Bewohnern des Landes, dass sie auf dem Weg zur politischen und gesellschaftlichen Stabilität sind.

Photo: flickr.com, User: Kashfi Halford

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