Ich sitze gerade im Zug, gestern noch in Frankfurt auf einem Arbeitstreffen, Zwischenstopp in Göttingen, um meine Eltern kurz zu besuchen, in zwei Stunden bereits wieder in Kopenhagen, wo ich vor zwei Wochen zum Studieren hingezogen bin. Das Setting könnte nicht passender für diesen Artikel sein, denn ich las das stipendiatische Magazin der Friedrich-Ebert-Stiftung „forum“, in dem das Hauptthema der Ausgabe Angst ist. Einige der beschriebenen Formen der Angst kannte ich zu gut – Angst abgelehnt zu werden, Angst zu versagen, Angst Chancen zu verpassen, Angst auf der Strecke zu bleiben. Angst ruft Stress hervor. Ich las Berichte über den Druck, nach Qualifikationen jagen zu müssen, den Lebenslauf mit mehreren Auslandsaufenthalten und Engagement schmücken zu wollen und der privaten Unbeständigkeit in Beziehungen und der Erschöpfung, die oft die Folgen der Flexibilität und des Triebes nach Erfolg verbunden sind. Einerseits empfand ich es beruhigend, dass es offenbar so viele andere Studierende gibt, die sich den Kopf über exakt dieselben Dinge zerbrechen, die mich ein Jahr vor meinem Abschluss beschäftigen. Andererseits fragte ich mich, warum wir mit diesem Lebensstil weitermachen, wenn wir uns doch so getrieben, rastlos und müde fühlen.
Nach kurzem Überlegen fielen mir tatsächlich viele Leute ein, die ich schon während des Bachelors beobachtet hatte, wie sie ein Praktikum nach dem anderen einschieben und jedes Mal umziehen, vom Lernen übernächtigt zu Prüfungen erschienen oder wie schnell man danach gefragt wurde, was man selbst eigentlich erreichen wollte und was man dafür tat. Damals war es mir egal. Ich ging lieber abends mit Freunden Bier trinken. Ich wollte nicht so gestresst sein und befürchtete nur Lebensqualität zu verlieren. Es wäre dennoch gelogen, wenn ich behaupten würde, ich sei so geblieben. Leider. Das schlechte Gewissen und die Angst haben sich mit der Zeit eingeschlichen. Erklärungsversuche dafür gibt es viele – die ständige Thematisierung der europäischen Wirtschaftskrise in den vergangenen Jahren und die damit einhergehende Unsicherheit, die Globalisierung, die Mobilität so viel einfacher macht, aber auch das Gefühl von wirtschaftlicher Ersetzbarkeit mitschwingen lässt oder der Wunsch, mit dem eigenen Umfeld mithalten zu wollen, schließlich greifen gefühlt mehr Studierende nach den beruflichen Sternen und reisen sich interessant.
Obwohl wir eine Generation sind, die Toleranz und Offenheit propagiert, müssen wir ehrlich sein – auch wir stempeln diejenigen ab, die passiv sind und ihre Zeit „ungenutzt“ lassen, sie also nicht mit „sinnvollen“ Dingen füllen. Diese Leute können zwar unsere Freunde sein, aber mit ihnen zusammenzuarbeiten, ginge nur schwer – die Angst vor der wirtschaftlichen und auch sozialen Abgrenzung ist also sehr gut nachvollziehbar.
Vielleicht sind sowohl Individualisierung und Liberalisierung innerhalb der Gesellschaft dafür mitverantwortlich, dass wir uns einem scheinbaren Diktat unterwerfen, das uns davon abhält nicht nur Zeit zu genießen und Spaß zu haben, sondern auch Ecken und Kanten zu entwickeln, um einen glatten Lebenslauf zu haben und nicht anzuecken. Die Dozentin Christiane Florin kritisierte kürzlich in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung, dass die Streitkultur in den Hörsälen deutscher Unis nahezu vollkommen fehle und Diskussionen so sehr auf Konsens abzielen, dass kaum noch Kontroversen entstehen können. Möglicherweise schwingt auch da die Angst vor sozialer und akademischer Abwertung mit?
Schwierig ist es, dass sich all dies zu einem Kreislauf entwickelt hat. Im Privaten fehlt zudem wegen der Kürze des Aufenthalts die Zeit, um die vielen spannenden Menschen wirklich tiefgreifend kennenzulernen – die Eckdaten des Lebenslaufs werden fälschlicherweise zur Visitenkarte, selbst wenn es nicht um menschliche Qualitäten geht. Ich mag mir bereits jetzt nicht vorstellen, was für Arbeitgeber diejenigen eines Tages werden, die unrealistische Erwartungen an den eigenen CV haben.
Vielleicht gefällt uns aber auch einfach der Lebensstil an sich? Oder zumindest einigen. Es ist aufregend, neue Orte, Länder und Menschen kennenzulernen. Die Unverbindlichkeit und Unbeständigkeit des Privatlebens bewahrt manche möglicherweise vor Verletzbarkeit wegen der mangelnden emotionalen Nähe. Und die Facebook-Likes von den Bildern und Statusmeldungen aus Thailand, Brasilien oder Neuseeland ersetzt inzwischen die aufrichtige Wertschätzung.
Tatsächlich kann man auch seine Träume erfüllen, wenn man mit Fleiß und Durchhaltevermögen seine Zeit und Energie investiert – das Belohnungszentrum im Gehirn wird die Erfolge und die Freude neuer Erfahrungen sicherlich zelebrieren. Dennoch glaube ich, dass alle zum gegebenen Zeitpunkt auch durchatmen müssen.
Ich glaube nicht, dass wir aufhören werden nach mehr zu streben. Es ist schließlich wesentlich im Leben, sich weiterzuentwickeln und Neues zu lernen – es ist sogar unvermeidbar. Notwendig wäre es lediglich, den Stresspegel und den Druck herunterzuschrauben, wenn man zu den Menschen gehört, die den Druck belastend finden. Gerade die eigene Weiterentwicklung wird dies früher oder später erreichen. Sobald wir uns in einem stabilen Umfeld befinden – sei es auch nur durch eine Festanstellung, die auch mit Reisen verbunden sein kann – oder uns mit „echten Herausforderungen“ im Alltag wie der Erziehung eigener Kinder konfrontiert sehen, relativiert man hoffentlich die Sorgen. Bis dahin wäre es allerdings ein Schritt sich selbst zunächst einzugestehen, dass man vielleicht Angst hat, dies menschlich ist und es eigentlich sehr vielen so geht.
Photo: flickr.com, User: Alessandra
Super Beitrag, vielleicht gefällt dir ja auch meins 🙂 Schau doch mal vorbei! https://diaryofabigcitygirl.wordpress.com/
Ich finde, dein Artikel spricht viele wichtige Dinge unserer jungen Generation an. Stress, Angst und Druck gehören leider dazu. Allerdings gab es nie eine Generation, die so viele Entscheidungsmöglichkeiten hatte – von der Berufswahl über Auslandsaufenthalte in jeder Form bis hin zu Kindern, Familie und dem großen Thema Work-life-balance. Ich frage mich daher: haben wir es uns nich so ausgesucht? Wenn wir wirklich etwas daran ändern wollten, würden wir es dann nicht tun?
Danke für den Kommentar – ich denke, wir haben es uns nicht unbedingt vollkommen allein ausgesucht. Die Rahmenbedingungen wurden ja von der Generation vor uns geschaffen, die ganzen Yuppies vor uns haben diese Beschleunigung ganz stark forciert.
Ich glaube, wir sind auch nicht unbedingt so frei, wenn wir an soziale Sanktionen denken – du bist als Hausfrau genauso abgestempelt wie als berufstätige Mutter.
Klar, wollen wir ein Stück weit die Entscheidungsmöglichkeiten beibehalten, aber die bittere Pille, die damit einhergeht, nicht mitschlucken – vielleicht weil wir nicht gelernt haben, mit solchen Herausforderungen umzugehen.
Wirklich toller und interessanter Artikel. Bei den meisten Punkten kann ich dir nur nickend zustimmen. Wir wollen immer weiter, immer höher und dabei auch noch aufregendes erleben. Die engsten Freunde, die leidenschaftlichsten Beziehungen. Bei mir ist das nicht anders. Ich will das, ich will dieses und dazu noch jenes. Ich nehme mir viel vor und frage mich dann manchmal warum ich mir das eigentlich alles aufhalse? Andere machen das schließlich auch nicht, haben sich für bequeme Wege entschieden. Aber wer hat am Ende das Tages eine spannendere Erinnerung?
Natürlich machen wir viel mehr als noch vor ein paar Jahren, aber die Zeiten sind auch anders. Ich denke nicht unbedingt, dass die Menschen in Generationen vor uns am Ende ihres Tages weniger erschöpft waren. Ich glaube das Problem ist auch, dass wir viel zu viel gleichzeitig machen und auch wollen. Ich kann mich nicht daran erinnern das letzte mal tatsächlich nur Fern gesehen zu haben. Mein Smartphone ist immer an meiner Seite, in der Regel esse und trinke ich auch noch etwas dabei.
Das Ende vom Lied? Wir haben vergessen, wie man sich entspannt, erholt und Kraft tankt. Wenn ich mich entspannen soll, fühle ich mich unentspannt.
Hey! Danke für deinen Kommentar.
Ich denke, es ist wirklich ein großes Problem, dass wir nicht richtig abschalten können – da wartet doch gerade zu nur Burnout um die Ecke.
Was ich als problematisch sehe ist, dass ich glaube, ein allgemeingültiges Konzept von Glück und Erfolg adaptieren zu können, auch wenn es gar nicht zu uns passt und am Ende hat man dann die Quittung.
Ein sehr interessanter Artikel. Als ich studiert habe, war das (trotz Halbtagsjob und später Kind) doch alles viel lockerer. Nun ist mein Sohn im 1. Semester und ich bin gespannt, wie sich das bei ihm entwickelt.
Hey! Vielen Dank für den Kommentar!
Ja, meine Mutter hat mir auch gesagt, dass ihr Studium viel legerer verlief. Es hängt natürlich auch vom Studienfach und den eigenen Ambitionen ein, ich wünsche deinem Sohn, dass er in keine unangenehme Stress-Spirale gesogen wird!
habe deinen Blog gerade über den Blogger-Kommentiertag gefunden und bin wirklich angetan von Deinen Texten – wahrscheinlich, weil sie inhaltlich einige Überschneidungen mit meinen haben, aber vor allem, weil sie passend und auf den Punkt getroffen sind. Es tut immer wieder gut, zu lesen, dass es anderen auch so geht und dass man, obwohl man unter dem Druck und Stress oft leidet, oft müde und kaputt ist und sich auch fragt, wozu der ganze Scheiss, es doch nicht lassen kann. Meine Mutter hat für mich mal den passenden Ausdruck gefunden, als ich ihr von meinem neuesten Projekt erzälte: „Projektjunkie“. Und ich glaube, das trifft für viele auf uns zu. Immer beschäftigt sein, immer das Gefühl haben, etwas zu leisten. Und ja, man ist ja auch stolz drauf. Irgendwie. Wenn auch nur kurz. Dann kommt wieder die Angst, nicht genug zu leisten. Auf den Lorbeeren ausruhen? Never ever.
Ich muss sagen, dass mich diese Art zu Leben oft an meine Leistungsgrenze bringt und ich deshalb auch lange lange Single war. Es erschien mir praktischer, weil mich niemand in meiner Rastlosigkeit „stört“. Aber irgendwann kam der Punkt, an dem ich mehr unter dem Druck und dem ewigen Alleine sein gelitten habe. Ständige Angst bis zu Panikattacken. Der ganze Kram eben.
Mittlerweile kann ich zwar auch mal nichts tun (kurz), aber ich glaube, diese Art zu leben, wird man nie ganz los. Und vielleicht ist es ja auch gar nicht schlecht – wenn man die richtige Dosis hinbekommt…
Liebe Catharina,
vielen Dank für den Kommentar. Ich sehe es ähnlich – Ambition an sich ist nichts schlechtes, aber man muss wirklich eine Balance finden, bevor man die negativen Konsequenzen zu spüren bekommt. Der Mensch kann ja genauso wie ein überhitzer Motor notgedrungen zum Stillstand kommen – durch eine Explosion z.B.
Aber ja, du bist bei weitem nicht allein. Ich kenne sehr viele Leute, die sich irgendwann geöffnet haben und von leistungsbedingten Angst- und Panikattacken berichten, allerdings kommt es mir so vor, als sei das Thema im Allgemeinen weniger akzeptiert.
genau das habe ich auch beobachtet und spätestens, wenn es darum geht, sich von Außen Hilfe zu holen, blocken viele ab – leider ist das immer noch ein Tabu-Thema. Was fatal ist, denn je mehr wir Angst durch Leistungsdruck tabuisieren, desto schlimmer wird sie. Ich zum Beispiel hielt meine Empfindung immer für falsch, als würde etwas nicht mir stimmen oder ich müsse mich nur noch mehr zusammenreißen, bin ein Weichei, andere schaffen das ja auch. Und so geht es denke ich vielen.
Das Bild vom überhitzten Motor find ich übrigens toll: Meine Therapeutin hat mich irgendwann mal gefragt, was ich mache, wenn mein Notebook heiß wird. Und ich „na, ausschalten natürlich“. Und sie „genau, und warum machst du das bei dir nicht?“
Das bringt es für mich echt auf den Punkt! generell sehr interessanter Blog 🙂 Lese mich gerade etwas durch… Lustig wie ähnlich sich unsere Ansichten und auch Themen teilweise sind. Mach weiter so, es braucht mehr solche Bloggerinnen wie dich!
Hey! Danke für das positive Feedback! Lass beide so weitermachen, würde ich dann sagen 🙂