Die gewaltsamen Ausschreitungen einiger extremer Blockupy-Anhänger in Frankfurt verbreiteten sich in den Medien und sozialen Netzwerken wie ein Lauffeuer. Dass die politische Botschaft der Organisatoren nun nahezu untergegangen ist, verwundert kaum: Spott und Wut über die Zerstörung dominieren das Stimmungsbild. Doch auch wenn es sich um einen kleinen Teil aggressiver Demonstranten handelt, die ihr Recht auf friedliche Versammlung missbrauchen, sind Unverständnis und Wut gegenüber der Politik symptomatisch für die Entkopplung von Politik und Gesellschaft, wie auch PEGIDA und die Popularität der AfD jüngst zeigen. Dieses Unverständnis hat seinen Ursprung in der jungen Vergangenheit. Eine Spurensuche.
Do it the American way – Diffamierung statt Diskurs
Mit der Bundestagswahl 1998 setzte ein neuer Trend ein, der oft als “Amerikanisierung” bezeichnet wird: Anstatt Inhalte zu erklären, setzte der damalige Kanzlerkandidat Gerhard Schröder auf mehr Personalisierung – also einem starken Fokus auf ihn als Person – und eine insgesamt stärkere mediale Inszenierung. Der Plan ging auf: Mit über 40% der Wählerstimmen wurde Gerhard Schröder Bundeskanzler. Auch weitere Elemente des typischen amerikanischen Wahlkampfs wurden später übernommen: das TV-Duell, bei dem Kanzlerin Merkel 2013 besonders durch ihre Kette in der Trikolore Deutschlands auffiel.
So sinnvoll es auch scheinen mag, Inhalte komprimiert durch mehr medialen Aufwand in knackigen Slogans an das Volk zu bringen, so sehr hat auch die politische Kultur darunter gelitten. Inhalte und Programme wurden nicht mehr erklärt, die Zeit der Visionen war vergangen. Das politische Gespräch hat an Qualität verloren, es geht vielmehr darum, den politischen Gegner zu diffamieren um zu polarisieren. Nichtsdestotrotz ist die Wahlbeteiligung zwischen 1998 und 2013 um 10% gesunken.
Kanzlerin und Vize-Kanzler: Schweigefuchs und das Fähnchen im Wind
Angela Merkel hat es geschafft sich als kühle Politikerin zu profilieren, der die Menschen vertrauen. Während die CDU bei den Bundestagswahlen triumphierte, sieht es auf Länderebene anders aus – Merkel zieht die Leute in den Bann und vermittelt Kompetenz, ohne sich vieler Worte zu bedienen. Wie eine Kindergärtnerin, die ihre Kinder behütet, wirkt sie beruhigend und verantwortungsvoll.
Die Marke Merkel funktioniert zwar für sie als Politikerin, hat aber einen Nachteil für die politische Kultur: die Person wurde wichtiger als die Inhalte. Vor allem zu Beginn der europäischen Wirtschaftskrise und mit der Einführung der Rettungsmechanismen, haben klare Worte gefehlt. Stattdessen dominieren bis heute boulevardeske Schlagzeilen die Stimmung darüber, wie die deutschen Steuern vermeintlich in andere Länder fließen.
Auch Vize-Kanzler Sigmar Gabriel bekleckert sich nicht mit Ruhm, wenn es um klare Positionen geht. Anstatt seiner Führungsrolle zumindest beim Koalitionspartner SPD gerecht zu werden, fragt man sich manchmal, ob er eine politische Vision hat oder zu sehr vom politischen Spiel der Berliner Republik aufgesogen wurde. Für die Bürger bleibt eins: Ungewissheit über politische Entscheidungen.
Mit der Wirtschaftskrise kam die EU ins Bewusstsein – und war auf einmal viel zu groß
Vor der Krise war die EU in der Wahrnehmung vieler eine nette Idee, die es ermöglichte ohne Grenzkontrollen zu reisen und den Verlust beim Geldwechsel ersparte. Mit der Krise waren plötzlich die europäischen Institutionen in den Vordergrund gerückt, ohne dass viel darüber debattiert wurde, welche Entscheidungen jeweils im Parlament, der Kommission, dem Ministerrat oder der Zentralbank beschlossen werden. Aber eins stand fest: die Krise wird auf EU-Ebene bekämpft, nicht zu Haus.
Internationale Politiker, die man nie gewählt hatte wurden in den Vordergrund gerückt. „Die da in Brüssel werden es schon richten“, aber was das eigentlich bedeutet, wussten viele Bürger über lange Zeit nicht. Die räumliche und emotionale Nähe der eigenen demokratischen Wählerstimme war nicht mehr gegeben, da die Beschlüsse viel zu fern von der eigenen Realität schienen und von Leuten umgesetzt wurde, deren Namen man nicht kennt. Bis heute haben es die europäischen Institutionen nicht geschafft, die Zivilgesellschaft zu durchdringen – Brüssel wurde zum Sinnbild für den politischen Elfenbeinturm.
„Uns geht es ja eigentlich ganz gut“ – gemütliche Verdrossenheit
Eine Mischung aus der Beruhigungstaktik Merkels, der Tatsache, dass Deutschland bisher relativ unbeschadet durch die Krise gekommen ist und dem gesellschaftliche Trend hin zu mehr Individualismus führt dazu, dass man in Deutschland offenbar keinen Grund hat, sich intensiv mit Politik auseinanderzusetzen. Es stimmt zwar, dass Deutschland international in vielen Belangen gut abschneidet, aber ob es in Zukunft auch so sein wird, ist fraglich.
Solange allerdings alles gerade ruhig und stabil läuft, braucht man sich auch nicht weiter aufzuregen und über die Verantwortung des bevölkerungs- und wirtschaftsstärksten EU-Landes nachzudenken – so der Trugschluss. TTIP, die europäische Geldpolitik und Reformen können auch deutsche Bürger irgendwann zu spüren bekommen, doch es schließt sich wieder der Kreis, denn: wer könnte die Politik auch erklären?
Eine Trendwende? Nur wenn eine Katastrophe naht
Dass die „antikapitalistischen“ Demonstranten nicht realisiert haben, dass durch ihre Aggression die Steuern aller Bürger für Neuanschaffungen und Reparaturen verwendet werden müssen, werden die Lethargie und Politikverdrossenheit nicht kippen. Genauso wenig wird ein plötzlicher Drang nach echten Diskussionen im Alltag einsetzen. Allerdings werden auch die Bürger Deutschlands die Politik im eigenen Land wahrnehmen müssen, wenn die politischen Trends in den anderen europäischen Ländern stimmen: Dänemarks und Österreichs rechts-konservative, nationalistische Parteien sind auf dem Vormarsch, die aus den Protesten gegen die Sparpolitik geborene Partei „Podemos“ in Spanien ist auf dem Weg zur stärksten Kraft. Sollten die bevorstehenden Parlamentswahlen in diesen Ländern ebendiese Parteien als Sieger hervorbringen, wird Deutschland sich nicht nur mit der griechischen Syriza auseinandersetzen müssen, sondern genug Anlass haben, das eigene Handeln zu reflektieren.
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