Wenn Bullshit in der Politik normal wird

Letztes Jahr war ich in Bezug auf die Politik und das Weltgeschehen im ständigen in ständiger Hysterie – Brexit, die Trump-Wahl und ein Ausmaß von öffentlich ausgesprochenem und gelebtem Rassismus in Deutschland wie er vor wenigen Jahren kaum vorstellbar gewesen wäre – haben mich aufgebracht . Ich denke, dass es vielen ähnlich ging – die einen „litten“ mehr, die anderen weniger, aber kaum jemanden ließen diese Entwicklungen kalt. Zurück in die Zukunft: Ende 2017, die Bundestagswahl ist vorbei, die AfD ist drittstärkste Partei geworden, Trump „performt“ ein waghalsiges Manöver nach dem anderen mit Nordkorea und dem Iran, parallel wird der Brexit verhandelt. Dennoch fühle ich mich viel ruhiger, gar erleichtert. Zum einen liegt das daran, dass viele wichtige Entscheidungen durch die Wahlen nun gefallen sind und das Gefühl von Ungewissheit nicht mehr so penetrant und akut in meinem Hirn hämmert. Zum anderen beobachte ich an mir allerdings etwas Besorgniserregendes: ein Hauch von Abgestumpftheit – die Welt ist schließlich nicht untergangen.

Was wird „The New Normal“?

In den vergangenen Jahren las und hörte man häufig crisis is the new normal – die Bürger seien mittlerweile durch Terrorbedrohung und einen aggressiven medialen Diskurs so sehr an Gefahren gewöhnt, dass das Gefühl von Sicherheit verloren haben und Bürgerfreiheiten wie im Zuge der Vorratsdatenspeicherung oder der Überwachung auf öffentlichen Plätzen bereitwillig, gar nonchalant, annehmen. In Frankreich konnte man beobachten, wie die Polizei aufgrund des ausgerufenen Ausnahmezustandes Kompetenzen erhielt, die einen starken Eingriff in die Persönlichkeitsrechte möglich machten. In einem dystopischen Szenario wird gerade in unterschiedlichen EU-Ländern eine Infrastruktur gebaut, die im Falle eines Missbrauchs durch die Staatsgewalten problemlos autoritär nicht zum Schutz der Bürger, sondern gegen sie benutzt werden könnte. Aber – who cares? Wer verfolgt noch was Breixt-Chefunterhändler Michel Barnier sagt oder ob die Mauer in den USA wirklich kommen wird?

Ich glaube nicht, dass der Krisenmodus der neue Normalzustand ist, sondern schlechte Politik – dazu gehören Gesetzesentwürfe, aber vor allem die Kommunikation zu den Bürgern. Dass das Gefühl von Angst und Krise entstehen kann, ist nicht nur eine Folge negativer Ereignisse, sondern auch des Umgangs und des Missmanagements, eben schlechter Politik. Autofahrer beschleunigen auf Autobahnen unbedacht auf Geschwindigkeiten, die ihren Körper im Falle eines Unfalls vollkommen zerstören könnte, aber gleichzeitig haben Bürger Angst vor Flüchtlingen, Terrorismus oder Religionen. Der Unterschied: Beim Autofahren bildet man sich fälschlicherweise ein, dass das Ergebnis der Fahrt primär von einem selbst abhängen würde, zudem kennt man klare Regeln und die Funktionsweise seines Vehikels und steigt deswegen sorglos immer wieder in Autos ein.

Klare Regeln und Verständnis über die Dinge, die man erlebt, sind fundamental dafür, dass man keine Angst empfindet – Angst vor dem Unbekannten. Wenn im Falle der Flüchtlingsbewegung vor zwei Jahren allerdings deutlich wird, dass die Regeln nicht klar abgesteckt sind und das Vehikel – in diesem Fall der Verwaltungsapparat – nicht ausreichend vorbereitet waren, weckt dies Sorge und mangels Artikulationsmöglichkeiten auch Aggression. Dass im Recht stets ein Spielraum besteht, ist sinnvoll, aber die fehlende Vorbereitung von absehbaren Ereignissen – 2013 waren in Bulgarien und Griechenland bereits die ersten Flüchtlingsunterkünfte voll – ist ein Symptom schlechter Politik.

Die Normalität wird ständig neu gestaltet

An diesen Politikfehler reihte sich mit der AfD ein Akteur in das politische Spektrum ein, der von schlechter Politik, die sich vor allem durch selektive Information und einseitige Meinungsmache kennzeichnet, profitiert. Gute Politik ist kein Garant für Erfolg und Wählergunst et vice versa. Was allerdings auf jeden Fall passiert, ist dass sich Bürger an die Politikart gewöhnen – sie werden desensibilisiert. Durch die Wiederholung von Botschaften und Entscheidungen reagiert man mit der Zeit weniger extrem. Im Falle der Flüchtlingskrise ist abzusehen, dass sich die negativen Reaktionen auf eine unverhältnismäßig exponierte Problematik normalisieren werden. Im Falle von Rassismus kann man erwarten, dass auch dieser langfristig in der Breite weniger Gegenwehr erfahren wird. Es verhält wie bei einem Angstpatienten: wenn er Höhenangst hat, wirkt die Höhe immer weniger bedrohlich, je häufiger er sich an den Blick aus der Höhe gewöhnt.

In der Gewohnheit liegt aber die große Tücke: auch schlechte Politik und erratische Führungspersönlichkeiten wie Donald Trump sorgen Schritt für Schritt nicht nur für eine Desensibilisierung, mit der Zeit schafft er auch neue Gewohnheiten von dem man für akzeptabel hält. Warum ist der Aufschrei nicht so groß, wenn Ivanka Trump und Jared Kushner private E-Mail-Server nutzen? Man kennt das Motiv schon von Hillary Clinton und ist bereits jetzt daran gewöhnt, wenn in der Trump-Administration Fehler geschehen. Man möge sich eine zweite Amtszeit Trumps vorstellen und wie die Wertvorstellungen nach acht Jahren wiederholten Hasses gegen Minderheiten, der Tolerierung von Neonazis im eigenen Land und der Denunziation von Menschenrechtlern aussehen wird. Und da der Mensch ein Gewohnheitstier ist und lieber bei bekannten Mustern bleibt – auch wenn diese schlecht für ihn sind – ist eine zweite Amtszeit Trumps nicht auszuschließen. Ohne Frau Merkel mit Trump vergleichen zu wollen, gibt es einen Grund, weshalb sie in vergangenen Wahlkämpfen auf „Sie kennen mich“ setzen – das Bekannte fühlt sich wohlig an.

Was also tun? Sich selbst daran zu erinnern, dass beispielswiese nationalistisches Gedankengut bis vor kurzem nicht normal war, wird nicht helfen – vor allem, wenn offene Werte mit der Zeit alt, rückständig oder wie ein Fehler des Zeitgeschehens ausgelegt werden. Das ist beispielsweise was die Alt-Right in den USA tut – sie versucht die Logik von liberalen Werten zu entzaubern. Anstatt Nationalisten wiederholt mit dem Zweiten Weltkrieg, der nahezu all seine Zeitzeugen mittlerweile verloren hat, „bekämpfen“ zu wollen, braucht es ein Gegenentwurf der in die Zukunft gerichtet ist und diesen bastelt man nicht in seinem stillen Kämmerlein am Sonntagabend nach Tatort. Genauso wie die Rechten die Zeit des liberalen Mainstreams genutzt haben, um sich zu vernetzen und auszutauschen, müssen auch die progressiven Politikinteressierten austauschen und entgegen der Gewohnheit und der Deutungshoheit ihrer Parteien oder Bewegungen in den vergangenen Jahrzehnten definieren, was tatsächlich „the new normal“ sein soll.

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