Roma – ein stilles Politikum in Europa

Noch immer als Wandervolk mit Talent für Musik bezeichnet, polarisieren Sinti und Roma immer wieder- entweder werden sie ignoriert, im besten Fall geduldet, oder sie sind Gegenstand einer skandalisierten und boulevardesquen politischen Debatte. Dass sich allerdings kaum jemand mit historischen, ethnischen, kulturellen, religiösen, wirtschaftlichen oder sozialen Hintergründen der Sinti und Roma befasst, bleibt bei der Diskussion unbeachtet.

Fakt ist, dass Sinti und Roma überall unerwünscht sind. Während im vergangenen Jahr französische Politiker Roma-Lager räumten und die aus Südosteuropa stammenden Immigranten in ihre Herkunftsländer auswies, macht es sich Innenminster Friedrich bequem,  indem er Missmut über mögliche Konsequenzen der Armutswanderung säht und vor allem an Rumänien und Bulgarien appelliert, sie mögen Integrationsprogramme ausbauen, damit die Roma fernbleiben. Auch die britische Regierung hat ihren Ton bei der Debatte verschärft und ihre Position deutlich gemacht: Roma sind nicht willkommen. Merklich ist auch die Wortwahl – in einigen deutschen Medien werden Roma noch immer als „Zigeuner“ betitelt.

Am Rande der Gesellschaft in den Heimatländern

Dass auch menschenrechtliche Aspekte betrachtet werden müssten, vergisst man offensichtlich überall in Europa. Roma leben in den Balkanstaaten in desaströsen Verhältnissen. Von der wirtschaftlichen Armut am stärksten betroffen, bleibt ihnen oft nichts übrig, als zu betteln und in Folge des ökonomischen Drucks passiert es auch, dass sie in kriminelle Machenschaften geraten. Ihre Unterkünfte, sofern vorhanden, sind ghettoisiert und isoliert, ein großer Teil der Roma lebt in einer Parallelgesellschaft ohne Teilhabe am öffentlichen Leben. Medial werden sie besonders kriminalisiert und stigmatisiert, ähnlich wie es in Deutschland bei Delikten passiert, die von Personen mit Migrationshintergrund begangen werden. Bei der Berichterstattung wird dieser besonders hervorgehoben („Ein türkischstämmiger Verkäufer…“). Die Einstellung in der Bevölkerung reicht zwar von Mitleid bis Verachtung oder gar Hass und die negative Tendenz wird vor allem in wirtschaftlich angespannten Zeiten wie diesen noch verstärkt. Nicht selten wird gesagt, die Roma wollen sich gar nicht integrieren und seien überhaupt nicht fähig, ein geordnetes Leben im klassischen industriellen Sinn zu führen. Auf Grund ihrer ethnischen Herkunft, die von Ethnologen und Linguisten in Vorderasien, Indien und Pakistan zugeordnet wird, seien sie auch überhaupt nicht für die Gesellschaft vor Ort gemacht.

Man kann nicht von der Hand weisen, dass es organisierte Kriminalität, Delikte im Rahmen des Familienbunds und Trickbetrügereien gibt, aber es gibt keine offiziellen Erhebungen, die das Ausmaß und das Verhältnis in Bezug zu anderen Bevölkerungsgrupen darlegt, schreibt der Balkan-Korrespondent Norbert Mappes-Niediek in seinem Buch „Arme Roma, böse Zigeuner“. Kulturelle Gräben sowie Spekulationen über kriminelles Potenzial und schlechte Bildung dominieren den Diskurs.

Weiter stellt Mappes-Niediek in seinem Werk fest, dass Roma erschwerte Grundvoraussetzungen haben, um den Armutszirkel zu durchbrechen, was er mit dem Ausmaß an Armut begründet: Da Roma auch als Arbeiter ungern gesehen sind, da man ihnen oft Betrug und Diebstal vorwirft, bestreiten sie ihren Lebensunterhalt als Tagelöhner oder teils organisierte Bettler. Besonders in westlichen Staaten lässt sich durch Betteln ein vielfach höheres Einkommen erzielen, als in einem Job mit Mindestlohn, der nicht einmal die wesentlichen Grundbedürfnisse deckt.

Unpolitisch und dennoch involviert? Die Grünen bieten eine Chance

Aktuell ereignen sich allerdings im Rahmen der bevorstehenden Parlamentswahlen in Bulagrien interessante und unerwartete Entwicklungen: Vom politischen System abgehängt und ausgegrenzt, beschäftigen sich die wenigsten Roma mit Politik, allerdings bringt der ehemalige deutsche Speditionskaufmann Frank Abbas, der mit einer christilichen NGO für die Rechte der Roma (inzwischen auch der niedrig situierten bulgarischen ArbeiterInnen) einsetzt, frischen Wind in die Lage. Obwohl er nach eigenen Aussagen das Parteisystem Bulgariens ablehnt, wurde er am Wochenende zum Mitglied des Nationalrats der Grünen („Zelenite“) gewählt und zieht eine Schar Anhänger aus der Romagemeinde mit sich. Abbas selbst lebt seit sechs Jahren in einem Romaviertel der Küstenstadt Varna.

Es wirkt ein wenig sonderbar, dass die Roma gerade bei den Grünen, die ihrem sozio-politischen Profil tendenziell Liberalimus und postmaterielle Werte vertreten, einen Platz gefunden haben, da sie damit zu kämpfen haben, das Nötigste im Leben zu sichern. Gerade diese Toleranz ermöglicht es ihnen nun offenbar, einen Platz in der politischen Landschaft zu finden. Da die Mitgliederanzahl der Grünen in Bulgarien trotz erfolgreicher Protestaktionen im vergangenen Jahr so niedrig, dass sie sicherlich jeden Unterstützer/ jede Unterstützerin begrüßen. Wie die politische Positionierung allerdings verlaufen wird, bleibt fraglich.

Keine Besserung in Sicht

Es gibt keine Tendenz dahingehend, dass sich in den kommenden Jahren der Austausch zwischen Roma und dem Rest der Gesellschaft verbessern wird. Zu tief sind die gedanktlichen Gräben, auch wenn in sozialistischen Zeiten auch Roma besser in die Arbeitswelt eingebunden wurden. Eine verstärkter Fokus auf diese Bevölkerungsgruppe wäre eigentlich nötig, da ihr Anteil zwar gegenwärtig fünf Prozent beträgt, aber erwartet wird, dass dieser in den kommenden 20 Jahren auf Grund der Emigration junger BulgarInnen und des demographischen Wandelns auf bis zu 15% ansteigt. Eine funktionierende Demokratie kann es sich eigentlich nicht leisten, Parallelgesellschaften und Politikverdrossenheit in so großem Stil aufrecht zu halten, doch solange Roma als BürgerInnen zweiter Klasse betrachtet werden und Konzepte für die Zusammenarbeit nicht auf ihre spezifischen Bedürfnisse angepasst werden, läuft man politisch geradewegs ins offene Messer. Niemand hat allerdings einen Vorschlag dafür, wie man die schlechte Reputation, die sowohl bei BulgarInnen gegen Roma als auch umgekehrt Bestand hat, abbauen und mögliches Wirtschaftspotenzial kann – es interessiert einfach niemanden.

Photo: flickr.com; User: Nikos Koutoulas

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